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Eine Radtour entlang der Romantischen Straße
Allgemeine Bemerkungen zur Tour
Die Radtour "Romantische Straße" ist eine bestens
ausgearbeitete, gut ausgeschilderte Radroute über rund 420
km von Würzburg nach Füssen. Das Verkehrsamt Dinkelsbühl
hat sich in beispielhafter Weise um dieses Projekt verdient gemacht
und Informationsmaterial ausgearbeitet, welches es jedem Typ von
Radwanderern leicht macht, sein "Paket" zusammenzustellen.
So schickt das Amt auf Anfrage postwendend gute Prospekte zu, die
aus einer detaillierten Routenaufstellung mit Geländeprofil
und ausführlichen Informationen über Sehenswürdigkeiten
an der Route, Unterkünften und Kulturangeboten bestehen. Man
kann die Tour organisiert mit Gepäcktransport, fest gebuchten
Quartieren und Bus-Rückreise zum Ausgangsort durchführen,
in umgekehrter Richtung ebenso, wie wunschgemäß sich
auch für einzelne Tagestouren entscheiden. Man kann Räder
ausleihen, allerdings ist man wohl mit seiner eigenen Ausrüstung
am besten bedient, ein Ehepaar, das wir unterwegs trafen, hatte
Schaltungsschaden gehabt und dadurch viel Zeit verloren. Sie hatten
dann Nabenschaltungen gewählt. Man kann die Tour auch in Gruppen
organisieren lassen. Wir wählten die individuelle Tour, hatten
unser Gepäck dabei und stützten uns nur auf die ausgiebige
Auflistung der Hotels und Pensionen aller Preislagen (ab 30.- bis
45.- DM je Nacht und Person) , um unsere Unterkünfte auszuwählen.
Diese sind so zahlreich, daß es uns sogar in Rothenburg ob
der Tauber nicht schwerfiel, unangemeldet, allerdings Ende September,
Quartier zu bekommen. Für Augsburg und Füssen hatten wir
vorbestellt, um nicht lange suchen zu müssen. Die Radwege selbst
gehen nur zu einem kleinen Teil, insgesamt schätzungsweise
insgesamt 20 km an belebten Bundesstraßen entlang, sonst abseits
auf ruhigen Straßen oder zu 80% auf guten bis sehr guten Radwegen
durch die lieblich Landschaft. Die Route nutzt andere Radwege, wie
"Liebliches Taubertal", die "Königlich Bayerische
Radtour", den "König- Ludwig-Weg" oder den "Main-Donau-Bodensee-Weg",
aber das Zeichen des Weges "Romantische Straße"
ist überall zusätzlich angebracht. Dreimal haben wir uns
wegen einer fehlenden, einer übersehbaren oder nicht eindeutigen
Markierung verfahren, eine eigene Routenkarte am Rad erleichtert
hilfreich die Orientierung, wenn so etwas passiert. Es genügte
uns eine geeignete Kopie aus einem Autoatlas 1:150 000, die jede
Tagestour auf einem Blatt enthält und auf der man sich außerdem
gegebenenfalls Eintragungen für die spätere Erinnerung
machen kann. Alle Unterkünfte, die wir anliefen, hatten verschließbare
Garagen als Unterstellmöglichkeit für die Räder.
Wir hätten auch unabhängig von unserer Individualtour
Bustransport nach Würzburg zurück buchen können,
zogen aber zum Wochenende den billigeren Bahntransport auf das "Schönes-Wochenende-
Ticket" vor. Hier mußten wir allerdings die Räder
bei zweimaligem Umsteigen Bahnsteigtreppen auf und ab tragen, da
es auf den doch schon alten Bahnhofsanlagen keine Rollgelegenheiten
am Rande der Treppen gibt - eine Kritik an dieser Stelle an die
Bahn.
Anreise zum Startort Würzburg
Wir hatten uns telefonisch vorher ein Zimmer im Würzburger
Hotel Jägerruh bestellt, um nicht so lange in der Stadt suchen
zu müssen und zum anderen sicher zu gehen, daß wir das
Auto, mit dem wir angereist sind, für die zehn Tage, die wir
unterwegs sein wollten, wohlbehütet abstellen können.
Die "Jägerruh" entpuppte sich als das lauteste Hotel
der Stadt, da es sich, früher einmal am Stadtrand gelegen,
heute an einem Hochstraßen-Kreuzungspunkt des Stadtringes
befindet. Der Anreisetag diente noch einem ausgedehnten Stadtbummel
durch das im Krieg total zerstörte Stadtzentrum. Die Stadt
selbst glänzt durch ihre wieder errichteten Kulturbauten, das
Residenzschloß und die alte Marienbrücke mit Blick zur
Festung Marienberg und dem Käppele, weniger durch die Nachkriegsbebauung
der Geschäftsstraßen. Der Main führte Hochwasser
und brachte allerhand Bäume und anderen Unrat zu Tale. Trotzdem
paßt ein riesiges niederländisches Flußkreuzfahrtschiff
gerade so in die Schleuse hinein. Kann es sonst denn den schwimmenden
Hindernissen aus dem Weg gehen?
Erster Tag: Würzburg- Tauberbischofsheim, 42 km
Der erste Tag beginnt gleich erst einmal mit grau verhangenem Himmel,
es beginnt heftig zu regnen und der Wetterbericht stimmt einmal
mit dem Wetter mit böigem, starkem Westwind überraschend
überein! Wir spannen die Regenumhänge auf, aber sie werden
zu Bremsen gegen den Wind. Man müßte kreuzen können,
da wäre es hinauf zur Frankenhöhe nicht so schwer zu fahren!
Endlich am Stadtrand wird es ruhiger um uns herum, wir sind auf
ruhigem Radweg auf freier Flur, wo uns der Regen aber so richtig
von der unangenehmensten Seite nämlich genau von vorn ins Gesicht
peitscht. Die Füße werden langsam naß und kalt,
man muß bergabwärts sogar treten, so stark ist der Gegenwind.
Eine jetzt im Herbst geschlossene Waldgastsätte kommt uns wie
gerufen für die Mittagsrast, ein größeres Schutzdach
schützt uns wenigstens beim Essen vor Regen und der Wald vor
dem Wind. Doch wir müssen weiter und die Fahrt durch sonst
sicher reizvolle Landschaft abwärts ins Taubertal wird zum
Prüfstein der Urlaubsstimmung! Sollten wir die Fahrt abbrechen
müssen, wenn es weiter so kalt, naß und windig bleibt?
Im Taubertal können auch die Bischofsstatue auf der alten steinernen
Tauberbrücke und der Radweg "Liebliches Taubertal"
die Stimmung nicht so recht heben. Als dann mitten im Regen noch
der Radweg von einer Baukolonne mit einem öligen Haftgrund
bearbeitet wird und wir uns ohne Vorwarnung bösartig vollspritzen,
ist das Maß voll! Zum Glück bricht in Tauberbischofsheim
die Sonne durchs Gewölk und ein Hotel im folgenden Ort Dittigheim
gibt uns warmen und gemütlichen Unterschlupf. Die Idee, zum
Abendessen noch einmal nach Tauberbischofsheim zurück zu radeln,
wurde durch einen neuerlichen Regenguß vereitelt. So kam es,
daß wir das erste hübsche Fachwerkstädtchen an der
Tauber nicht näher bestaunen konnten. Wir trockneten unsere
Sachen.
Zweiter Tag: Rothenburg ob der Tauber, 72 km
. und packten die Regensachen in die Packtaschen, denn heute sieht
das Wetter freundlicher aus und der Wetterbericht verspricht ab
jetzt einen schönen Altweibersommer! Und er stimmte, denn ab
jetzt gibt es keinen Tropfen Regen mehr auf der ganzen Tour. Bevor
wir nach gemütlichem Frühstück auf Tour gehen, besuchen
wir noch den Störenfried der letzten Nacht, die nahe St.Vitus-Kirche
mit ihrem prachtvollen Balthasar-Neumann-Barock. Ja, wir sind in
katholischem Ländle, wo der Gläubige viertelstündlich
an seine religiösen Pflichten erinnert wird und zur vollen
Stunde, besonders nachts 12 Uhr das maximale Geläut herabdröhnt.
Wir werden es ertragen müssen, aber wir kommen auch wieder
ins evangelische Franken, wo man einsichtiger mit den Menschen ist.
Der erste Ort, an dem wir anhalten, ist Bad Mergentheim mit seinem
Deutschritter-Ordensschloß und gepflegten Kuranlagen. Die
Fachwerkarchitektur macht uns neugierig auf weiteres und jedes Städtchen
im Taubertal und auch weiter Richtung Donau überrascht uns
mit seinen gepflegten Fachwerkhäusern aus dem Mittelalter.
Mittagsrast machen wir im sonnigen Schloßpark des Hohenloher
Stammschlosses in Weikersheim. Es gibt als Vitaminstoß gefallene
Äpfel und aufgelesene Walnüsse als Zubrot. Zwischen Röttingen,
der Stadt der etwa 30 Sonnenuhren und Creglingen fahren wir auf
einem neuen Radweg auf altem Bahndamm und genießen den Blick
auf die Tauberauen von oben. Rothenburg ob der Tauber empfängt
uns mit einem etwa 100 m hohen Aufstieg - das gut befestigte alte
Städtchen liegt für uns noch unsichtbar auf der Höhe.
Es war uns schon aufgefallen, daß die Romantische Straße
in Deutsch und Japanisch(!) ausgeschildert ist, aber nun wird uns
auch das schlagartig klar, als wir die vielen japanischen Touristen
in den Gassen sehen und später beim Rundgang auf der Stadtmauer,
wo sich viele von ihnen als Sponsoren im alten Wehrgang verewigen
ließen. Die Stadtmauer ist meterweise an sicher wohlhabende
Interessenten aus aller Welt verpachtet, um die notwendigen Mittel
zur Erhaltung der "schönsten Stadt" Deutschlands
einzufahren. Eine gute Geschäftsidee der Touristikbranche!
Am Abend ist die Stadt märchenhaft schön erleuchtet und
Läden und Gaststätten sind gut besucht. Die besten Geschäfte
macht aber sicher das ganzjährige Weihnachtsunternehmen der
aus dem Erzgebirge stammenden Käthe Wohlfahrt, denn besonders
die Japaner sind das ganze Jahr über aufnahmefähig und
andenkenhungrig.
Dritter Tag: Dinkelsbühl, 52 km
Nach dem guten Frühstück in der Pension "steigen"
wir vorsichtig bremsend durch eines der vielen schönen Tore
hinab ins Taubertal, denn es geht steil über altes Kopfsteinpflaster
abwärts zur steinernen Doppelbrücke, durch deren Bogen
man den schönsten Fernblick hinauf zur vieltürmigen Stadt
hat. Die Fahrt durch das immer enger und uriger werdende Taubertal
endet kurz hinter Rothenburg bereits, wo sich unsere Route hinauf
(etwa 150 Höhenmeter) über die Autobahn A7 hinweg nach
Schillingsfürst zur europäischen Hauptwasserscheide wendet.
Bald erreichen wir über den ruhig und friedlich wirkenden Höhenrücken
mit seinen saftigen Viehweiden, den ruhenden Rindern und lieblichen
Auen das Quellwasser der Wörnitz, deren Verlauf wir nun bis
zu ihrer Mündung in die Donau folgen werden. Eine sonnige spätsommerliche
Idylle breitet sich vor uns aus. Bis nach Feuchtwangen müssen
wir noch einmal aus dem weiten flachen Tal heraus, aber es lohnt
sich, der Stadt und ihren beiden Kirchen einen kurzen Besuch abzustatten.
Eine kuriose Entwicklung gibt es hier zu beobachten: die klösterliche
Anlage mit Kreuzgang und ihre benachbarte zweite Kirche sind evangelisch
geworden, der Kreuzgang beherbergt sogar ein Kaffeehaus, während
auf dem anderen Ufer der Sulzach eine neue moderne katholische Kirche
als Zeichen des wieder gewachsenen katholischen Glaubens hier in
der Region steht. Kurz vor Dinkelsbühl wählen wir einen
gemütlichen Gasthof als Quartier, denn wir sind heute schon
genug geradelt und müde von den vielen Eindrücken an der
Strecke. Nach Abruhen und einem aufbauenden Kaffee sind wir aber
wieder fit und fahren jetzt leicht und beschwingt ohne Gepäck
hinein nach Dinkelsbühl, das uns ebenfalls wieder eine fast
vollständig intakte Stadtmauer, stattliche Bürgerhäuser
aus Renaissance und Barock und - ein fünfstöckiges Fachwerkhaus
aus dem Jahre 1440(!) präsentiert. Im Restaurant gibt es Zwiebelkuchen
und Federweißer und vorwiegend pommes-essende Japaner. In
der Schranne, dem allerorts als Festsaal ausgebauten alten Getreidespeicher,
geht es richtig rund bei Bier und Wein und fröhlicher Live-Musik.
Als die Stadtbeleuchtung die warme Abendsonne schon längst
ersetzt hat und alle Türme und die schönsten Häuser
angeleuchtet werden, verlassen wir das Städtchen in Richtung
unseres Gasthofes auf dunklem Radweg. Rückblickend verschwindet
die Märchenstadt hinter gespenstigen Bäumen der Wörnitzauen.
Vierter Tag: Nördlingen, 40 km
Der Gasthof war so ruhig und die nahe Kirche evangelisch, so daß
wir bis acht Uhr schlafen können, um nach dem ausgiebigen Frühstück
nochmal dem morgendlichen Dinkelsbühl zuzustreben, wo wir von
anderen startenden Radlern mit dem Ruf begrüßt werden:
"Wo kommen die denn schon her?" Die morgendliche Stadt
hat auch ihre Reize, wenn man die Geschäfte quasi mit eröffnet
und der Geschäftsinhaber die japanischen Touristen in ihrer
Sprache nach ihren Wünschen fragt, ja man hat es eben einfach
drauf, auch die Auslagen und Aufsteller vor den Geschäften
in Japanisch zu beschriften. Wir queren kurz hinter der Stadt aus
dem Wörnitztal herausfahrend den Limes, der hier als Teufelsmauer
bezeichnet wird und noch mit Resten von Wachtürmen aufwarten
kann. Durch dichte Laubwälder müssen wir jetzt ein paar
steilere Straßenstücke die Räder schieben, da es
über den Kraterrand des Nördlinger Rieses, dem Einschlag
eines Meteoriten aus früherer Erdgeschichte geht. Der Krater
hat etwa 25 km Durchmesser, ist vom fruchtbaren Ackerboden des Kratersees
bedeckt und gesäumt von Schlössern und Burgen der Fürsten
von Oettingen-Wallerstein, die sich dieses einmalige Terrain zu
ihrem Eigentum gemacht hatten. Das Schloß Wallerstein auf
kalksteinernem Felsrücken ist eine staufische Gründung
Barbarossas und das Zentrum des einstigen Fürstentums. Mitten
im Ries erreichen wir Nördlingen, dessen 90 m hoher "Daniel"
fahnengeschmückt von Festlichkeiten im Ort kündet und
tatsächlich "reiten" wir in die 1100-jährige
Stadt durch ein landsknecht-bewachtes Stadttor und drängen
uns mühsam durch dichtes Getümmel zu Fuß zu unserem
Hotel durch, bevor wir uns von diesem aus wieder ins bunte Markttreiben
stürzen, mit dem Fußvolk essen und trinken, um den Trubel
schließlich noch vom Daniel, dem Kirchturm der Stadt aus zu
betrachten. Der Türmer Lothar auf diesem Turm gab uns Grüße
an unseren heimischen Türmer mit. Er hatte uns sofort, als
wir sagten, daß wir zu Hause auch einen Türmer haben,
als Chemnitzer erkannt, da es ja nicht mehr so viele Türmer
in Deutschland gibt und man kennt sich untereinander. Die Nacht
war unruhig, da man bis in die frühen Morgenstunden hinein
feierte!
Fünfter Tag: Donauwörth, 42 km
Der strahlende Sonnenschein tröstet uns über die kurze
Nacht hinweg, da außer dem feiernden Völkchen auch am
frühen Morgen beim benachbarten Metzger Schweine zum Schlachten
angeliefert wurden. Sie waren erst gegen 7 Uhr endgültig verstummt.
Aus der Stadt heraus bekommen wir einen recht straffen Gegenwind
aus SO zu spüren, der uns bis zum heutigen Ziel ganz schön
zusetzt. Es geht durch Felder und Weiden an bloßliegenden
Kalksteinformationen vorbei, bis wir feststellen, daß wir
doch ein Radwegzeichen übersehen haben, aber die Kalksteinflora
der Schwäbischen Alb und des nahen Naturparks Altmühltal
hatte uns so begeistert, daß wir es erst merkten, als der
Weg nicht mehr radwegmäßig unseren Vorstellungen entsprach.
Der Umweg hatte uns durch unwegsames Gelände geführt und
durch den straffen Wind und die schlechten Wege doch mehr als gebührend
an den Kräften gezehrt. So waren wir froh, als wir wieder im
Windschatten von Bäumen die dicht befahrene Bundesstraße
25 und damit unseren Radweg an deren Seite erreichten. Wir stießen
hier auch wieder auf den Lauf der Wörnitz, die sich in ihrem
Verlauf einst den Weg durch das Ries gebahnt hatte und nun hier
an der ausgedehnten Wallersteinschen Harburg wieder zu unseren Füßen
dahinfloß. Hier ist auch wieder der Kraterrand zu überqueren,
den die Wörnitz sich selbst durchbrochen hat. Im Burghof, der
heute zum Montag nicht museal eintrittspflichtig ist, rasten wir
in sonnigem Windschatten zu Mittag. Gut erholt legen wir die restlichen
Kilometer nach Donauwörth zurück, obwohl uns auch hier
der Gegenwind hart zusetzt und uns entgegen kommende Radler laut
singend, da sie ja Rückenwind haben, noch den Rest geben! Die
Etappe war zwar kurz, aber wir sind froh, doch nach einigem Suchen
gegenüber dem Münster der Stadt ein Zimmer zu bekommen
und uns erst einmal ausstrecken zu können, bevor es wieder
auf den unvermeidlichen Rundgang durch die Stadt zum Abendessen
geht. Die Stadt ist zum Bummeln nicht so gut geeignet, da sich der
ganze Verkehr auf der einen Hauptstraße abspielt und selbst
am Donauufer keine ruhige Promenade zu finden ist. Durch die ergiebigen
Regenfälle der letzten Wochen ist der Fluß stark angeschwollen
und die Wörnitz bringt auch noch ein beträchtliches Maß
an Wasser mit, so daß der Bau neuer Hochwasserschutztore sinnvoll
erscheint.
Sechster Tag: Augsburg, 43 km
Heute geht es nun das Lechtal aufwärts, das wir bis Füssen
nur kurz einmal verlassen werden. Das Tal kündet mit seiner
Breite von riesigen Wassermassen, die sich beim Abschmelzen des
Eises Richtung Donau durch das Land gegraben haben. Wir fahren auf
dem sanften Hügelrand entlang, zu dessen Füßen sich
ein zweites Flüßchen, die Schmutter, parallel zum Lech
im gleichen Tale dahin schlängelt, bevor sie bei Donauwörth
in die Donau mündet. Von nun an sind in allen Dörfern
die hohen schlanken Zwiebeltürme der oberbayerischen Landschaft
weithin sichtbar und man sieht beim Rundblick gleich mehrere von
ihnen. Am Talrand erheben sich Burgen und Klöster, deren barocke
Türme und Kirchen weithin im Lechtal sichtbar sind und denen
wir kurze Besuche abstatten. Wir haben von der Tour aus uns für
Augsburg ein Quartier bestellt, um nicht erst in der Stadt umhersuchen
zu müssen. Es ist ein einfaches neugebautes Bettenhaus mit
kühlem Betoncharme im Städtchen Neusäß, wozu
wir aber die vorgegebene Radroute verlassen müssen, aber von
dort aus nur noch sechs Kilometer zum Zentrum von Augsburg zurückzulegen
haben. An dicht befahrener Ausfallstraße entlang erreichen
wir am Abend die Peripherie der Stadt, tauchen dann aber in eine
verkehrsberuhigte Seitenstraße ein und sind bald mitten in
der Innenstadt mit dem Dom, der Hauptader, der Maximilianstraße
im Verlauf der römischen Via Claudia, an der sich die Paläste
der mittelalterlichen Weltstadt u.a. der Fugger und Welser, des
bedeutenden Handelshauses des 15./16.Jhd., aufreihen. Das stattliche
Rathaus der freien Reichsstadt im italienischen Renaissance-Stil,
der danebenstehende Perlachturm und das Kaiser-Augustus-Denkmal
bilden das markanteste Ensemble der Stadt. Teure Geschäfte,
Budiken und Restaurants wechseln sich ab und der Abend, wenn alles
beleuchtet ist, macht die Stadt noch schöner. Aber eigenartigerweise
liegt die Innenstadt nicht wie bei anderen Städten am Fluß,
sondern Wertach und Lech fließen weitgehend unbeachtet außerhalb
der Altstadt vorbei. Nur einige Bäche und der Stadtgraben durchfließen
sie, um den Wallgraben an der Stadtbefestigung zu speisen. Sicher
wurde die erhöhte Lage des Stadtzentrums schon von den Römern
genutzt, um vor den kräftigen Hochwassern des Flusses geschützt
zu sein, denn die vielen Staustufen des Lechs regulieren erst seit
jüngerer Zeit den Wasserlauf in Zeiten der Schneeschmelze aus
den Alpen.
Siebenter Tag: Landsberg am Lech, 52 km
Nach gesundem Schlaf starten wir heute erst 10 Uhr und erreichen
an der zum Teil erhaltenen Stadtmauer von Augsburg entlang jenseits
der Berliner Chaussee die Lechstaustufe unterhalb Friedberg, an
die 1972 zur Olympiade die Wildwasserrennstrecke gebaut wurde. Es
ist eine imposante Anlage mit Schikanen im Strömungskanal,
die durch das in diesen Tagen reichliche Hochwasser schon an wilde
Gebirgsströme erinnern. Da wir durch unsere Routenänderung
gestern den Weg am Lechufer entlang ausgelassen hatten, waren wir
heute um so überraschter, einen so wasserreichen Fluß
vorzufinden, der von hier an aufwärts seit dem Beginn des Jahrhunderts
durch viele solcher Staustufen gebändigt worden ist. Friedberg,
die altbaierische Herzogsstadt der Wittelsbacher lassen wir aus,
da wir zur bereits vorgerückten Stunde die Steigung umgehen
wollen und eine Etappe mit unsicherer Unterkunft vor uns haben,
denn Landsberg am Lech bietet laut Prospekt nur Quartiere der gehobeneren
Preisklasse an, so daß wir davor oder dahinter eine Unterkunft
suchen wollen. Vorerst wird aber das Wetter trübe und neblig
und durch das breite flache Lechtal kommt ein eigenartiges Gefühl
auf, da wir uns hier im Lechfeld auf historischem Boden der Ungarnschlacht
des Sachsenkaisers Otto I. befinden, nur die Kampfgeräusche
sind andere, denn Phantomjäger aus dem Fliegerhorst Lechfeld
ziehen unsichtbar durch den Nebel ihre Bahnen. Das Gelände
wird also ununterbrochen, sogar schon seit der Römerzeit bis
heute militärisch genutzt, wie wir von einem Uffz. der Luftwaffe
bestätigt bekommen, der auf der Ruine Haltenburg eine Bodenübung
der Soldaten betreut. Die blaue Übungshandgranate mit Reißleine
am Eingang der Ruine umgehen wir sehr vorsichtig, denn man weiß
ja nie! Die Verwechslung, bei der erst kürzlich eine echte
Handgranate bei einer Übung hochgegangen war, käme "nur
im Heer" vor, "bei der Luft" gäbe es das nicht!
Sei es wie es sei, jedenfalls verließen wir die Stätte
schneller als sonst und radelten über die Hochebene am Rande
des Lechfeldes durch nun auch wieder sonniges Gelände dem Städtchen
Kaufering zu, wo wir nach rascher Talfahrt am Bahnhof ein preiswertes
Hotel finden und für diese Nacht bleiben. In Landsberg finden
wir noch die Läden offen und buntes Markttreiben. Die schöne
Lage der Stadt am Lechsteilhang und ihre gut erhaltene Altstadtbebauung
sorgen für gemütliche Stimmung in der Abendsonne. Bald
ist auch das Lechwehr, eine besonders breite kaskadenartige Stauanlage
von 6-7m Höhe und natürlichem Uferpark erleuchtet, über
dem sich vom westlichen Ufer aus die Kulisse der Altstadt besonders
hübsch ausnimmt. Beim rustikal eingerichteten Fischerwirt am
Roßmarkt schmecken der Baunzen, die Spätzle und die Maultaschen
zum Braunbier nach erlebnisreichem Tag ausgezeichnet. Es ist schon
ein Sport geworden, beim oder nach dem abendlichen Bummel das originellste
Lokal mit den urigsten Speisen zu finden, was allerdings im gast-
und gaumenfreundlichen Bayern auch nicht allzu schwer ist. Auf dem
Radweg entlang der dicht befahrenen Bundesstraße gelangen
wir wieder sicher zum Hotel zurück.
Achter Tag: Schongau, 54 km
Es ist heute morgen wieder kalt und nebelig und wir müssen
erst ein neues Vorderradbremsseil besorgen, weil das alte gestern
Abend gerissen war. Kein Problem, denn in Kaufering allein gibt
es drei große Fahrradhäuser, fast mehr als Autohäuser
- sollte das der Trend werden? Wir bekommen das Seil, da es ein
ausgebautes ist, sogar geschenkt, noch ein Werkzeug zum Kürzen
geliehen und es kann wieder losgehen. Aus dem Lechtal hinauf auf
den östlichen Talrand lassen wir den Nebel hinter uns und es
wird sonnig warm. An der Wallfahrtskirche Vilgertshofen ziehen wir
die kurzen Hosen an, da es immer wärmer geworden ist, man spricht
von Fön. In Reichling wendet sich die Straße wieder dem
Lech zu und es geht in schneller Fahrt 13% abwärts nach Epfach,
dem römischen Abodiacum, einem Kastell an der Via Claudia Augusta,
wo aber nur noch Namen darauf hinweisen, daß es hier im altrömischen
Gebiet bereits einen ersten Limes gab und der heilige Lorenz mit
Kreuz und Palmwedel, als überlebensgroße Steinfigur auf
der Lechbrücke darauf hinweist, daß um 250 auf dem nahen
Lorenzberg durch ihn eine der ersten christlichen Kirchen Deutschlands
entstanden ist. Wir haben den Berg nicht erklommen, haben also auch
die Reste dieser oder einer späteren Kirche nicht gesehen.
Auf genannter Via Claudia Augusta erreichen wir Altenstadt, die
frühere Ortslage Schongaus mit ihrer einzigen auf bayerischem
Grund und Boden erhaltenen rein romanischen Basilika. Es ist seltsam,
recht viele auf den ersten Blick romanische Kirchenbauten zu finden,
die sich dann schon beim Betrachten der veränderten Fensteröffnungen
als barock umgestaltet erweisen und einen schließlich im Inneren
in eine andere Welt versetzen, wenn pompöser Barock mit dem
ganzen Wust an bayerischem Prunk und Glanz den Ursprung des Bauwerkes
vergessen lassen. Hier ist also die Ausnahme, wenn ein schlichtes
romanisches Kruzifix den einfachen romanischen Raum schmückt
und so das ursprüngliche Ansinnen und den eigentlichen Inhalt
der Religion wiedererkennen läßt. Aber in Altenstadt
gibt es heute noch eine andere Attraktion: in der Franz-Joseph-Strauß-Kaserne
ist auf dem nahem Übungsgelände Fallschirmspringer-Workshop(!).
Was man sich alles einfallen läßt, um das Kriegspielen
schmackhaft zu machen! In Wellen zu jeweils 20 Springern öffnen
sich wie an der Schnur aufgereiht ebensoviele Fallschirme aus einer
Transportmaschine. In der Nachmittagssonne ist das ein nettes Schauspiel.
Das schöne Städtchen Schongau, das wir nur streifen, da
wir den Lechtalgasthof aufsuchen wollen, bleibt unentdeckt. Der
Gasthof ist besetzt und telefonisch erreichen wir nur eine Pension
weiter über Peiting hinaus in Lamprecht, ein hübsches
bäuerliches Anwesen an der Straße mit Fremdenzimmern.
Hier bleiben wir zu Abend und haben auch keine Lust mehr zur Stadt
zurückzufahren, zumal wir unser deftiges Abendbrot, mit "Spitzbub´"
- das ist Romadur mit Zwiebel-Essig-Soße auch hier zum Braunbier
einnehmen können. Dafür machen wir hier in ländlicher
Umgebung noch einen kleinen Bummel auf die Höhe, von wo aus
wir einen ersten Blick auf das Alpenpanorama und auch das erste
und letzte Mal, wie es sich herausstellte den Blick auf die Zugspitze
haben, denn ab morgen sind wir dann schon zu nahe am Gebirge dran
und der Zugspitzblick bleibt verborgen.
Neunter Tag: Füssen, 49 km
Der Wirt berät uns freundlich über die Weiterfahrt und
warnt uns vor den "saubrutalen" Steigungen auf dem eigentlichen
markierten Radweg. Seine Empfehlung war dann auch radfreundlicher,
denn es ging durch Weiden, Wiesen, Auen und an ruhigen Teichen vorbei
nach Steingaden, wo wir eine dieser bereits erläuterten romanisch-barocken
Kirchen besuchen und danach an die Hochlandkäserei geraten,
die ganz Deutschland mit Allgäuer Käse-, Quark- und Milcherzeugnissen
der "glücklichen" Kühe beliefert. Ein paar Spezialitäten
aus dem Käsegeschäft gehen noch in unsere Packtaschen,
um unterwegs zur Mittagsrast verzehrt zu werden. Diese findet auf
einer wider Erwarten ruhigen Bank hinter der Wieskirche statt, die
wir als Höhepunkt der Tour im wahrsten Sinne des Wortes auf
871 mNN erreichen. Es ist der höchste Punkt der gesamten Tour
und wir stellen fest, daß uns die geringen Steigungen der
letzten Tage von der Donau aufwärts bei dem ruhigen Herbstwetter
ohne nennenswerten Wind kaum aufgefallen sind. Die Wieskirche, als
reinste Rokoko-Kirche Deutschlands besticht durch ihr einmaliges
gewölbefüllendes Deckenfresko und die Fülle der Plastiken
und Gemälde, die den Kirchenraum zieren. Ein Magnet für
Kunstinteressenten ersten Ranges, sowie Touris aus aller Welt (besonders
aus Japan!). Von hier radelt es sich leicht und schnell wieder hinunter
ins Lechtal, immer das Alpenpanorama vor Augen dem absoluten Höhepunkt
der Tour zu, dem Märchenschloß Ludwigs II. von Bayern,
dem Schloß Neuschwanstein. Auf steiler Felsklippe steht es
vor der Kulisse der Berge der Allgäuer Alpen hochaufragend.
Wir wählen natürlich nicht die Touristenauffahrt, sondern
den Aufstieg durchs wildromantische Pöllattal hinter dem Burgfelsen.
Die Räder bleiben natürlich unten stehen, denn es geht
über Treppen und Felsgalerien, angesichts wilder Wasserfälle
und Klippen dem Gipfel zu. Das neoromanische Prunkschloß des
vorigen Jahrhunderts besichtigen wir nicht, steigen aber noch zur
Fotobrücke über das Pöllattal, um auch eines der
"Starfotos" vom Schloß zu schießen. Dann genügt
uns der Rummel und wir verschwinden genauso umweltfreundlich wieder
hinter dem Berg, wie wir gekommen sind und überlassen das romantische
Traumgebilde den Bus-Touristen. Die Radwege auf dem Bahndamm und
durch herbstliche Wälder führen uns noch am älteren
Schloß Hohenschwangau vorbei und bei schon abendlicher Sonne
fahren wir in Füssen ein, wo es so eng zugeht, daß wir
nicht einmal die Räder auf dem Fußweg ungehindert schieben
können. Unser bestelltes Quartier liegt in Bad Faulenbach,
wo ein Niederländer uns aufs Beste bewirtet und wir auf dem
Balkon des Alpenhauses den Bergblick und die Abendsonne genießen.
Von Füssen selbst bekommen wir nur noch die erleuchteten Gebäude,
die Kirche und das Hohe Stadtschloß mit, bevor wir in den
Römerkeller zum Essen und König-Ludwig-Bier einreiten.
Der Höhepunkt der Romantik ist erreicht und wir sind stolz
auf unsere Leistung und den Entschluß, die Tour nicht abwärts
gefahren zu sein, denn die Steigerung der Eindrücke war eindeutig
nur in dieser Richtung zu erleben, zumal das Wetter prächtig
mitgespielt hat!
Zehnter Tag: Rückfahrt nach Würzburg mit Bahn und "SWT"
(Schönes Wochenende Ticket)
Der Doppeltriebwagen der Bahn ist heute zum Sonnabend dicht besetzt,
aber wir haben unser Fahrgerät und das Gepäck verstaut
und fahren gemütlich abwärts. Die Gedanken schweifen zurück
und lassen das Erlebte Revue passieren. Man hätte hier und
da besonders in Füssen noch ein zwei Tage mehr verbringen können,
um noch einige Abstecher mit wenig Gepäck in die Berge zu unternehmen,
auch hier und da im Stadtgetümmel unterzutauchen, oder weitere
kulturhistorische Höhepunkte anzusteuern.
Wir verbringen nach dem anstrengenden Umsteigen in Augsburg und
Treuchtlingen und Fahrten in leeren Städteexpress-Zügen
den restlichen Tag in Würzburg, um wenigstens noch das Stadtfest
auf der Marienbrücke mitzuerleben und fahren am nächsten
Morgen mit den Rädern auf dem Dach wieder Richtung Heimat davon.
Gerald Hummel, Chemnitz, 1998
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