|
»Fahrrad-Thermal-Urlaub in Ungarn
Mittwoch, 4. August 1993, Chemnitz - Decin, 19.9 km
Wir vier (Beate, Roland (=Specky), Andreas (=Easy) und Ralph) trafen
uns auf dem Chemnitzer Hauptbahnhof. Specky kam etwas später,
wodurch er den heftigen Regenguß in seiner vollen Länge
miterlebte, während wir ihn trocken in der Halle erwarteten.
Vor dem Bahnhof trafen wir noch Arnd und Pia, die gerade aus Australien
zurückkehrten. So konnte ich sozusagen noch im letzten Moment
meine Dienstgeschäfte ordnungsgemäß übergeben.
Die Mitnahme der Räder im Eilzug Chemnitz - Dresden gestaltete
sich völlig problemlos. In Dresden reichten sogar drei Minuten
(laut Fahrplan wären es 6 gewesen) für den Umstieg in
die S- Bahn nach Schmilka aus. Damit setzten wir eine neue Bestmarke,
denn immerhin hatten wir mit voll bepackten Räder eine Treppe
zu bewältigen. In Schmilka dauerte es gar nicht lange, bis
uns die Fähre über die Elbe setzte, und wenige Minuten
später rollten wir an den Grenzkontrollen vorbei. Wir tauschten
100 DM zum Kurs von etwa 1:17 in tschechische Kronen um, ca. 500
Kcs waren noch von vorangegangenen Reisen übrig. Die 16 km
lange Fahrt an der Elbe entlang auf einer schönen Straße
bereitete wie immer Vergnügen, und dieses Mal fanden wir auch
den Hauptbahnhof sofort.
Wir waren eine Stunde vor Abfahrt des Zuges da - genug Zeit, die
Räder aufzugeben und Fahrkarten zu kaufen. Der Beamte ist seit
mindestens vier Jahren derselbe und wir wußten somit unsere
Räder in guten Händen. 1226 Kcs kosteten die Fahrkarten,
140 Kcs die Fahrradkarten. Wir reisten also für unglaublich
wenig Geld (für unsere Verhältnisse) die weite Strecke
nach Kosice.
Kaum war die Bürokratie vorüber, setzte ein gewaltiger
Hagelschauer ein. Über erbsengroße Körner prasselten
auf die Erde. Wir waren froh, so schnell nach Decin gefahren zu
sein und freuten uns auf den hoffentlich sonnigen Süden. Nachdem
wir die Verladung der Räder in unseren Zug beobachtet hatten,
versuchten wir, einen Platz im Liege- oder Schlafwagen zu ergattern.
Ein Schaffner sprach deutsch: `Bitte gehen sie zum letzten Wagen,
da ist mein Kollege, der ist sehr attraktiv, und der hat noch Platz.'
Der Kollege gab uns zu verstehen, daß er ab Prag Plätze
für uns hätte, und so zogen wir in ein freies Abteil mit
Sitzplätzen, wo uns die Schaffnerin mißtrauisch vertreiben
wollte und kaum glauben wollte, daß wir ab Prag die Plätze
freiwillig räumen wollten, wo wir doch Fahrkarten nach Kosice
hatten.
Donnerstag, 5. August 1993, Kosice - Roznava, 64,9 km
In Prag stürmten wir zu unserem Schaffner. Der Zug war inzwischen
irrsinnig lang geworden - fast hätten wir den Wagen nicht gefunden.
Wir drängten uns mit in den Gang. Als die anderen Reisenden
untergebracht waren und der Zug allmählich wieder anrollte,
krauste der Schaffner die Stirn. Na gut, drei Plätze hätte
er noch. Wir nahmen sie und bekamen ein eigenes Abteil mit drei
bezogenen Schlafwagenbetten - beste Ausstattung. Nachdem wir dem
Schaffner 50 DM gegeben haben (Normal kostet ein Platz 200 Kcs,
aber unsere Kronen waren inzwischen alle.) schliefen wir wunderbar
und genossen nach dem Aufwachen das herrliche Panorama um Poprad.
Mit eineinhalb Stunden Verspätung kamen wir in Kosice an und
erhielten unsere Räder gleich am Packwagen unbeschädigt
zurück.
Die neue tschechisch-slowakische Grenze spürten wir bisher
nur beim Fahrkartenkauf: Es gab getrennte Karten für den tschechischen
und slowakischen Teil der Strecke. Doch wir hatten auch eine Währungsgrenze
überschritten und besaßen außer einigen noch in
beiden Staaten gültigen Kleinmünzen keine gültige
Währung mehr. Nachdem wir etwas Geld in einem Hotel getauscht
hatten, kauften wir eine Straßenkarte der Slowakei im Maßstab
1:500000, weil die Wanderkarten der Gegend um Kosice ausverkauft
waren. Nebenbei stellten wir fest, daß in Kosice fleißig
rekonstruiert und renoviert wird, insbesondere die Kirchen. Außerdem
fanden wir Radwege durch die Fußgängerzone der Innenstadt.
Nach einem Imbiß verließen wir die Stadt in südwestlicher
Richtung notgedrungen auf einer Fernverkehrsstraße. Hinter
der Stadtgrenze schlüpften wir in unsere Radlerhosen und konnten
kurz darauf die erste Reifenpanne an Beates Rad beheben. Offenbar
hatte ich in der sengenden Sonne an der stark befahrenen Straße
zu hastig gearbeitet, jedenfalls war der Reifen kurz darauf schon
wieder platt. Nun tauschten wir kurzerhand den Schlauch aus und
hatten mit diesem `Diamant'-Rad bis zum Ende der Tour keine Probleme
mehr.
Als uns der Durst zu plagen begann, hielten wir an einem kleinen
Lebensmittelgeschäft und stürzten uns auf die Mineralwasser-
und Saftflaschen. Auch hier gingen wir zu hastig vor, weswegen sich
der Apfelsaft vor dem Laden als Apfelwein entpuppte. Aber gemischt
mit mehreren Litern Mineralwasser ergab sich ein sehr erfrischendes
und belebendes Getränk.
Froh, von der Schnellstraße abbiegen zu können, gönnten
wir uns in Turna eine Pause mit Eis und Getränken. Kurz darauf
erreichten wir den Grenzübergang, an dem laut Karte Sondervorschriften
gelten sollten. Es galten auch Sondervorschriften, und zwar die
für uns ungünstigsten: Nur Bewohner der angrenzenden Staaten
und der tschechischen Republik dürfen passieren. Auch unsere
arg betrübten Gesichter erweichten die Herzen der Grenzer nicht.
Aggtelek war somit an diesem Tag nicht mehr zu erreichen. Wir wandten
uns wieder nach Westen, unterdrückten brav alle Gedanken an
einen illegalen Grenzübertritt und kamen nach einigen kleinen
Dörfern wieder auf unsere vertraute E571. Die Straße
überquert vor Kosice einen Höhenzug, und wegen unserer
groben Karte probierten wir lieber nicht aus, ob die abzweigende
Straße den Bergrücken vielleicht etwas tiefer schneidet.
Der Berg war für Beate an diesem Tag zuviel. Ohne zu wissen
wo wir schlafen würden, wollte sie die Steigung absolut nicht
mehr bezwingen. Nach einer geraumen Weile kamen wir mit einbrechender
Dämmerung trotzdem oben an und fanden ein geöffnetes Gasthaus
vor. Kurz darauf fand man uns an einem Tisch sitzend und den beiden
so kurz vor der Schließzeit noch vorhandenen Gerichten zusprechend:
Suppe und Nudeln. Nun hatten wir ein weiteres Problem: Unsere Kronen
hatten wir vor der Grenze fast restlos aufgebraucht. Auf unsere
Anfrage hin war der Ober aber auch bereit, D-Mark zu akzeptieren.
Wir bezahlten entsprechend dem offiziellen Umrechnungskurs zuzüglich
eines kleinen Trinkgeldes. Offenbar hatten wir damit die üblichen
Sätze überschritten, denn er brachte uns, als wir bereits
wieder an unseren Rädern standen, noch vier Ansichtskarten
als Souvenir hinterher.
Gegenüber der Gaststätte hatten wir bei der Ankunft einen
kleinen Waldweg entdeckt, der auch als Wanderweg markiert war. Wir
gelangten nach wenigen Hundert Metern auf eine hübsche Lichtung,
auf der wir im letzten Licht des Tages unsere Zelte aufschlugen,
kurz den Blick auf Roznava genossen und dann in unsere Schlafsäcke
krochen.
Freitag, 6. August 1993, Roznava - Miskolc, 117,1 km
Nach dem Aufstehen stellte ich zunächst einmal fest, daß
trotz des leichten Nebels die Aussicht von unserem Zeltplatz beeindruckend
war. Aber auch die andere Seite bot mit dem Blick auf die Waldlichtung
einen angenehmen Anblick. Wir rollten den mühsam erklommenen
Berg rasant auf der anderen Seite hinunter, verließen die
Europastraße, um eine Abkürzung zu nutzen und stoppten
in Lipovnik. Ein kleiner Lebensmittel- und Milchladen sollte unser
Frühstück liefern. Um endlich wieder etwas Geld in die
Tasche zu bekommen, fragten wir die Verkäuferin, ob sie DM
tauschen möchte. Sie mochte nicht, verwies uns aber an ihre
Kollegin im Nachbargeschäft, die brennendes Interesse zeigte.
Es kostete uns regelrecht Mühe, ihr glaubhaft zu machen, daß
uns 20 DM für einen Tag reichen und wir keine 200 DM tauschen
möchten. Die Frau erklärte uns, daß sie demnächst
nach Deutschland führe und einige Industriegüter kaufen
wolle, die trotz des extremen Umtauschkurses in Deutschland billiger
wären. Wir nannten ihr gängige Preise für einige
ihrer Wünsche. Auch hier boten wir wieder den offiziellen Kurs.
Gestärkt mit einigen Litern Milch, Hörnchen und Käse
fuhren wir weiter. Ein Stück ging es über Nebenstraßen
an Roznava vorbei, dann erreichten wir wieder unsere vertraute Europastraße.
Eine Höhle kündigte sich an. Nun, wenn wir schon nicht
das große und berühmte Höhlensystem in Aggtelek
sehen sollten, dann wollten wir uns wenigstens diese Höhle
gönnen. Inzwischen nieselte es etwas, was zur Folge hatten,
daß Specky und Andreas auf der Abfahrt von der Europastraße
unabhängig voneinander einen astreinen Sturz fabrizierten.
Außer ein paar Hautabschürfungen und dreckigen Hosen
gab es aber keine Folgen.
Der Campingplatz neben der Höhle bot uns die Möglichkeit,
bis zum Beginn der Führung die knapp ausgefallene Morgentoilette
nachzuholen. An der Besichtigung nahm außer uns vieren noch
ein slowakisches Pärchen teil. Die wichtigsten Fakten wiederholte
die Führerin uns zuliebe in einem niedlichen Deutsch. Ich fand
dort die längsten Röhren-Stalaktiten, die ich jemals gesehen
habe.
Nach einer kurzen Trinkpause brachen wir wieder auf. Wir kehrten
auf unsere Fernverkehrsstraße zurück und kamen in dem
Flußtal recht zügig vorwärts. Ein Ort war inzwischen
umbenannt worden, was uns etwas verwirrte. In Tornala rasteten wir
und brauchten in einer Gaststätte wieder einmal unsere Kronen
restlos auf. Gestärkt verließen wir das Haus und suchten
einen Platz, wo wir noch ein wenig pausieren konnten, denn inzwischen
schien die Sonne wieder erbanrmungslos. Allzulange wollten wir nicht
suchen, so fanden wir schließlich ein kleines Eckchen auf
dem Friedhof, wo wir uns im Schatten eines Baumes für eine
halbe Stunde niederließen.
Die Grenze war nicht mehr weit, und vor einem heraufziehenden Gewitter
herradelnd erreichten wir bald den offiziellen Grenzübergang.
Der Beamte bemerkte sofort, daß Speckys Pass abegelaufen war,
aber zum Glück reichte der Personalausweis zum Passieren des
Kontrollpunktes. Nachdem wir Geld getauscht hatten fuhren wir ins
nächste Dorf, wo ich in einem Bisztro meine Kenntnisse der
ungarischen Zahlen auffrischen konnte.
Wir fühlten uns recht wohl und munter, die Straße verlief
eben und hatte wenig Verkehr, so brachen wir bald wieder auf und
hielten erst wieder in Kazincbarcika zu einer Melonenpause. An einem
Kiosk aßen und tranken wir etwas, und ich übte mit der
Verkäuferin die Aussprache der Wörter Borsodi Sör
(Sör = Bier).
Weder auf der Karte noch in der Wirklichkeit fanden wir einen Zeltplatz,
so entschlossen wir uns kurzerhand, bis Miskolc zu fahren. Von früheren
Besuchen her kannte ich die Stadt, wir fanden ohne Probleme hindurch.
Die anschließenden 6 km zum Zeltplatz mit Licht strengten
dann doch schon etwas mehr an, und nach dem 1.5 km langen steilen
Anstieg zum Zeltplatz hatten alle genug. Wir krochen bald in unsere
schnell aufgebauten Zelte.
Sonnabend, 7. August 1993, Miskolc, 23.9 km
Am Vormittag fuhren wir, nachdem wir die Öffnungszeiten des
Thermalbades überprüft hatten, in die Stadt. Ich habe
seit meinem letzten Besuch in Miskolc viele andere Städte gesehen,
und trotzdem hat der Miskolcer Markt seine Faszination nicht verloren.
Unsere Räder bewachten wir nach einem Hinweis einer Marktfrau
ununterbrochen. Es genügten wenige Sekunden der Abwesenheit,
und schon schlichen merkwürdige Gestalten um die Gefährte
herum. Jeweils zwei von uns stürzten sich in das bunte Gewimmel.
Gerüche, Farben, Gedränge, Lärm - alles wirkte auf
die Sinne ein. Vernünfigerweise findet der Markt direkt neben
dem Busbahnhof statt. Viele Bäuerinnen aus der Umgebung brachten
in geflochtenen Körben die Erzeugnisse aus ihrem Garten zum
Verkauf. Einige boten nur ein paar Birnen oder Paprika feil, andere
hatten ganze Kistenstapel voller Obst und Gemüse. Ausländer
sah man kaum, der Markt ist lebenswichtig für die Ungarn und
wird nicht zum Vergnügen Schaulustiger veranstaltet.
In einer dieser Buden kauften Beate und ich unseren ersten Langos.
Specky und Andreas versuchten dasselbe, aber als Specky feststellte,
daß Langos `on line' bereitet wird, man also nicht mit Zeigen
und Deuten zurande kommt, gab er auf. Ich ging daraufhin noch einmal
mit ihm zu der Bude und sprach die magischen Worte, die zwei Tage
später jeder von uns fließend beherrschte: `Kerem kettö
Langos teifölösch sajtos', worauf zum Erstaunen Speckys
unter den Händen der Verkäuferin zwei schmackhafte, frische
Langos mit saurer Sahne und Käse entstanden.
Nach unserem Marktbummel schlenderten wir durch die inzwischen
fertig rekonstruierte Einkaufsmeile der Stadt und verbrachten die
Mittagshitze auf einer schattigen Bank mit einer saftigen Melone.
Wir kehrten zur nachmittäglichen Öffnungszeit des Thermalbades
in das Erholungszentrum in der Nähe unseres Campingplatzes
zurück. Das Miskolcer Höhlenbad kann man nicht beschreiben.
Das Gefühl, in warmem Wasser in einer geschickt beleuchteten
Höhle umherzuschwimmen und zu plantschen, ist einfach einzigartig.
Nach dem Bad fühlten wir uns pudelwohl und genossen das Wohlsein
bei Langos und heißen Maiskolben. Von unserem Sitzplatz aus
konnten wir eine Szene beobachten, bei der ich erstmalig bedauerte,
keine Videokamera dabei zu haben. Ein kleiner Trinkwasserbrunnen,
den man aufdrehen musste, wollte man Wasser trinken, war defekt.
Der Hahn gab anstelle einer 10 cm hohen Fontäne manchmal einen
scharfen, bis zu 2 m weit spritzenden Strahl von sich. Da sich die
meisten durstigen Leute schon über den Brunnen gebeugt hatten,
bevor sie den Hahn aufdrehten, ergaben sich einige sehr ergötzliche
Situationen.
Den Abend beschlossen wir bei einer Flasche leider etwas zu warmen
Weines in einer Freiluftgaststätte.
Sonntag, 8. August 1993, Miskolc - Eger, 66.6 km
Wir standen relativ zeitig auf, denn wir wollten das Bükk-
Gebirge vor der Mittagshitze bezwungen haben. Bevor wir den richtigen
Anstieg erreichten, mußten wir eine kleinere Hügelkette
überqueren und die mühsam erkämpften Meter noch einmal
hinunterfahren. Aber dann stiegen wir auf einer kleinen, kaum befahrenen
Straße, die man eher als Weg bezeichnen könnte, Meter
um Meter bergan. Irgendwann traten dann auch die Bäume zurück,
und ein weiter Blick auf Miskolc wurde frei.
Schneller als gedacht kamen wir oben an. Nachdem wir uns wieder
zusammengefunden hatten, denn so einen Berg muß man mit seinem
eigenen Tempo bezwingen, hielten wir in Bükkszentkereszt und
genossen eine der blauen ungarischen `Pumpen'. Wir mußten
auf unserer Tour feststellen, daß diese wohltuenden Einrichtungen
mehr und mehr verschwinden. Für die Einwohner ist es natürlich
ein Fortschritt, das Wasser im Haus aus der Leitung fließen
zu lassen, aber wir Touristen müssen nun auf diese schöne
Erfrischungsquelle verzichten. Da wir gegenüber früheren
Jahren über mehr Geld verfügten, sind wir zum Glück
auf die Pumpen als Trinkwasserspender nicht mehr so sehr angewiesen.
Nach Bükkszentkereszt fuhren wir auf dem `Dach' des Bükk
entlang. Die Straße wies nur noch wenige Steigungen oder Gefälle
auf. Ein Meiler am Straßenrand war Anlaß für einen
Halt. Wir konnten miterleben, wie so eine Verkohlungsanlage beschickt
wird - eine wegen der Hitze und des Rauches sehr anstrengende Arbeit.
Wir hätten bei Bedarf auch gleich vor Ort Holzkohle kaufen
können.
Schöne Ausblicke, nunmehr nach der anderen Seite des Gebirges,
ließen die Straße zum Erlebnis werden. Glücklicherweise
kamen kaum Autos, so daß wir die herrliche Landschaft gebührend
bewundern konnten.
Ein weiterer Stopp machte uns mit einer Kalkbrennerei vertraut.
Einige Arbeiter waren gerade mit einem der Brennöfen beschäftigt.
Auf einer Tafel war zu lesen, wieviel Geschick und Wissen nötig
ist, so einen Ofen zu bauen und dann auch die richtigen Temperaturen
zum Kalkbrennen zu erzeugen. Im Gegensatz zu den Köhlern verkauften
die Kalkbrenner ihre Produkte aber nicht an die vorbeikommenden
Touristen.
Nun stand uns eine lange, lange Abfahrt bevor. In mächtigen
Serpentinen senkte sich die Straße mit sanftem Gefälle
ins Tal. Die Neigung war so bemessen, daß nur an wenigen Stellen
gebremst werden mußte, man aber über viele Kilometer
auf das Treten verzichten konnte. Da der Asphalt nicht völlig
eben war und man die Serpentinen schlecht einsehen konnte, fuhren
wir meist etwas verhaltener als es vielleicht nötig war.
Wir gelangten zu einem kleinen Schmalspurbahnhof. Früher begannen
hier mehrere Strecken und führten bis nach Eger hinein, heute
wird als Touristenattraktion nur noch ein kurzes Stück betrieben.
Viele Schienen liegen noch im hohen Gras versteckt, andere Teile
wurden bereits demontiert.
Auf sanft geneigter, schnurgerader Straße fuhren wir sehr
zügig nach Eger und kamen bereits am frühen Nachmittag
auf dem Campingplatz an. Leider war der Hintereingang nicht mehr
geöffnet, so daß der Spaziergang in die Stadt mit einem
gewaltigen Umweg begann.
Wir suchten zunächst die Festung auf. Beeindruckend thront
sie über der Stadt und erscheint mit ihren dicken Mauern auch
heute noch sehr sicher. Alle Tricks und alles Wissen der Festungsbaukunst
scheinen genutzt worden zu sein. Wir konnten uns lediglich nicht
erklären, weswegen die Bauleute den Nachbarberg nicht in ihre
Bauerei einbezogen haben.
Die Vorstellung, aus diesen Mauern heraus ein angreifendes Heer
von 60000 Türken zu bekämpfen, läßt uns noch
heute einen leichten Schauer über den Rücken jagen. Nur
etwa 6000 Verteidiger sollen den ersten Angriff der Türken
erfolgreich zurückgeschlagen haben.
Als wir auf der Suche nach einem Restaurant wieder in die Stadt
hinunterstiegen, stießen wir auf eine Salatbar. Das war genau
das, was wir jetzt brauchten, und so amüsierten sich die Verkäuferinnen,
daß wir alle zweimal aßen.
Nun überredete ich meine Begleiter, doch noch mit nach den
Weinkellern von Eger zu suchen. Ihre ungefähre Lage kannte
ich noch, aber sicher war ich mir nicht. Erst als uns leicht schwankende
Gestalten mit diversen Kanistern und Flaschen entgegenkamen, war
ich mir sicher, auf dem richtigen Weg zu sein.
Wir fanden nach einer Runde durch das Weinkellertal eine Öffnung
im Berg, die uns zusagte und verschwanden in einem gemütlichen
Keller. Wegen unserer Unsicherheit bei der Entscheidung zwischen
Bükker und Egerer Wein durften wir kosten, danach war die Entscheidung
eindeutig für den Bükker gefallen. Drei Liter konsumierten
wir an Ort und Stelle, einen weiteren nahmen wir mit zum Campingplatz.
Wir versuchten den Winzer zu überreden, uns eine Kiste seines
herrlichen Getränkes nach Hause zu schicken, aber das war ihm
wohl zu anstrengend oder risikovoll. So bleibt uns nur die Erinnerung
an einen wunderbaren Tropfen in einzigartiger Umgebung.
Der Rückweg war anstrengend, aber lustig. Beate schlief nach
unserer Ankunft sofort ein, ich holte mit Specky noch Palatszinta
vom Kiosk, erlebte das Ende der mitgebrachten Flasche aber auch
nicht mehr mit. Specky und Easy unterhielten sich noch eine ganze
Weile mit unseren Nachbarn über Gott und die Welt.
Montag, 9. August 1993, Eger - Tiszafüred, 55.5 km
Der Wein sorgte dafür, daß wir nicht ganz so früh
aufstanden und eine ganze Weile brauchten, bis wir am nächsten
ABC-Laden unser Frühstück einnahmen. Daß er seinen
schweren Kopf über die Hügel vor der Stad bugsieren mußte,
gefiel Andreas ganz und gar nicht, und die Möglichkeit einer
Melonenpause in Mezökövesd wurde dankbar angenommen.
Die Theiß bildet hier ein beeindruckendes Bild, sie windet
sich durch eine breite Senke und wird von vielen Seen und Flußarmen
flankiert.
In Tiszafüred suchten wir den Thermal-Campingplatz auf und
genossen den Nachmittag mal im warmen Wasser, mal bei Langos und
Palatschinken auf der Liegewiese. Später schwammen wir dann
zur Abwechslung auch im kalten Becken umher.
Am Abend schlenderten wir ein Stück das Theißufer entlang.
Der Stimmung eines abendlichen Flußufers kann man sich nur
schwer entziehen.
Eine Disko zog viel Publikum an, was man an dem eindrucksvollen
Fahrradparkplatz vor dem Musikschuppen erkennen konnte.
Schließlich beschlossen wir den Tag wohltuend in einem Restaurant
und stärkten uns für die Puszta, die wir als nächstes
durchqueren wollten.
Dienstag, 10. August 1993, Tiszafüred - Hajdoszoboszlo,
83.2 km
Unser Frühstück konsumierten wir in einem Park vor dem
nächsten Supermarkt. Durch die Hortobagy-Puszta wollten wir
nicht auf der Fernverkehrsstraße fahren, um uns dann im Dorf
Hortobagy inmitten von ganzen Busladungen Touristen wiederzufinden.
Wir bogen deswegen bei der nächsten Gelegenheit auf eine kleine
Straße nach Norden ab, die uns in einem Bogen immer am Rand
des Nationalparks herumführen sollte. Bald schon stießen
wir auf die ersten Ziehbrunnen, die man ja als das Wahrzeichen der
Puszta oder Ungarns überhaupt betrachtet. Nach der Melonenpause
in Tiszacsege (Die Omi freute sich wie ein Kind, daß wir einige
Brocken Ungarisch anwandten.) folgte ein 30 km langes Stück
Straße bis zur nächsten Siedlung. Specky fuhr mal ein
Stück zurück, um anschließend seine Sprintfähigkeiten
zu trainieren, und das war natürlich genau die richtige Gelegenheit
für den ersten Speichenriß, und zwar hinten rechts, also
an der unangenehmsten aller möglichen Stellen. Einen Abzieher
hatten wir mit, aber wir konnten das Ritzel nicht festhalten. Ein
Besuch im nächsten Gehöft brachte uns bellende Hunde und
einen Schraubenschlüssel, aber keine passende Zange. So fuhren
wir also weiter nach Balmazujvaros, der nächsten Stadt. Es
gab sogar ein Kaufhaus mit Fahrradabteilung, und die hatten auch
einen Service, der allerdings erst 16.00 Uhr kommen sollte. Wir
verbrachten die Zeit bei einem ausgiebigen Mittagessen im nächsten
Restaurant und bei einem Mittagsschläfchen in einem Park. 16.00
Uhr war noch kein Service da, gegen 16.30 wurde die Verkäuferin
unruhig und gegen 17.00 Uhr gaben wir es auf. Ich hatte einige Meter
zuvor einen `Lakatos' gesehen, einen Schlosser also. Den suchten
wir jetzt auf und nach kurzen Verständigungsproblemen hatten
wir mittels Rohrzange, passendem Schlüssel, unserem Abzieher
und dem geübten Griff des Meisters das Ritzel demontiert, die
Speiche eingezogen und das Ritzel wieder montiert. 400 kp Zugkraft
empfiehlt Shimano, wir waren jetzt etwas vorsichtiger, wer weiß,
unter welchen Umständen die Reparatur noch einmal erforderlich
wird. Specky ging deswegen auch noch einmal zu dem Schlosser zurück
und holte unsere vergessenen Speichen.
Nach dieser Aufregung fuhren wir einige Kilometer, bevor wir uns
bei einem Händler am Straßenrand eine Melone frisch vom
Feld gönnten. Drei Hunde bewachten die Früchte. Die Preise
für Melonen lagen während unserer Tour zwischen 6 und
16 Forint pro Kilogramm - eine recht erhebliche Spanne.
Es war kühl geworden, ja sogar ein leichter Regen begann.
Deswegen lag uns viel daran, in Hajduszoboszlo recht bald auf den
Campingplatz zu kommen. Aber leider war doch etwas Sucherei nötig,
bevor wir unser Zelt aufbauen konnten. Das Thermalbad hatte schon
geschlossen, und das immer schlechter werdende Wetter verlockte
auch nicht zu einem abendlichen Stadtbummel.
Mittwoch, 11. August, Hajduszoboszlo - Szarvas, 140.7 km
Nun lag sie vor uns, die weite Ebene Ungarns, auf der man immer
Gegenwind hat, wenn man nach Südwesten fährt. Um es vorwegzunehmen:
Wir hatten Rückenwind und damit ein unglaubliches Glück.
Von diesem Tag gibt es nicht viel zu erzählen. Wir fuhren
und fuhren. Wir sahen einen Unfall, bei dem offenbar ein Radfahrer
angefahren oder überfahren wurde. Etwas später zählten
wir bei einer Rast, daß auf der Dorfstraße 12 Fahrräder
und ein Traktor unterwegs waren. Wir bewunderten den Verkehr, der
funktioniert, obwohl kaum ein Fahrrad eine Beleuchtung und nicht
alle eine vernünftige Bremse haben. Wir stellten fest, daß
Herrenrahmen besser sind als Damenrahmen, weil man damit drei Mehlsäcke
transportieren kann (auf dem Tretlager, auf der Querstange und auf
dem Gepäckträger). Bei Damenrahmen liegt der Sack allerdings
nicht auf dem Kettenblatt auf. Wir aßen zu Mittag Brot mit
Butter und Knoblauch vor einem kleinen Bad und am Nachmittag eine
unserer geliebten Melonen. Wir freuten uns, daß das regnerische
Wetter des Vormittags wieder dem Sonnenschein Platz machte. Wir
erlebten zwischen Körösladany und Gyomaendröd den
zweifelhaften Reiz von 10 km schnurgerader Straße. Wir suchten
den Campingplatz in Szarvas wegen eines Kartenfehlers zunächst
in der falschen Richtung und mußten deswegen 6 km zusätzlich
fahren. Und wir verbrachten den Abend als einzige Gäste in
einem Restaurant, dessen Küche durch unsere Anwesenheit in
helle Aufregung gestürzt wurde.
Neben unserem Platz an der Körös standen zwei weitere
Zelte in gewissem Abstand voneinander, und ein junges Mädchen
machte uns auf englisch darauf aufmerksam, daß sie deswegen
so weit von ihren Eltern entfernt schliefe, weil ihr Vater so sehr
schnarche. Das war uns nach diesem Tag aber völlig egal.
Wir erfuhren von ihr, daß sie ab September in Szeged Informatik
studieren wolle und nutzten die Gelegenheit, von ihr einiges über
Ungarn zu erfahren. Ich übte mit ihr die Aussprache des Wortes
Eins = Egy solange, bis sie zufrieden war, und sie erklärte
uns die ungarische Art der Mehrzahlbildung (Fahrrad = bicikli, 2,3,4.
Fahrräder = 2,3,4. bicikli, aber die Fahrräder = biciklik).
Donnerstag, 12. August, Szarvas - Csongrad, 60.9 km
Die Hauptattraktion von Szarvas ist das Arboretum. Und so fuhren
wir, nachdem wir während unseres Frühstücks den Fahrradstrom
beobachtet hatten, der sich auf schmalen, untauglichen Radwegen
entlang der Hauptverkehrsstraße bewegte, zu diesem Park. Der
Besuch lohnte sich! Ein Park mit allen möglichen Bäumen
empfing uns. Wir spazierten auf den schattigen Wegen, bewunderten
die vielen verschiedenen Arten der Laub- und Nadelbäume, genossen
die sich immer wieder bietenden Blicke durch Schneisen und Wiesen
und wären eigentlich ganz gern noch etwas länger dort
geblieben.
Wir hatten beschlossen, den Besuch in Szeged zu streichen, denn
das hätte eines weiteren Tages Urlaub bedurft. So gönnten
wir uns eine kleine Etappe, was nach der gestrigen Tour auch angemessen
war. Wir fuhren über sonnenüberflutete Straßen weiter
nach Südwesten, rasteten in Szentes und überquerten zum
zweiten Mal die Theiß.
Der Campingplatz in Csongrad war bald gefunden und entpuppte sich
als ein großes Vergnügungszentrum mit allen möglichen
Unterkünften, Buden, Badestellen usw. Es war recht schwierig,
in dem Getümmel noch ein Plätzchen zu finden. Specky entdeckte
dann hinter einem Bungalow ein Stück Wiese, welches zu unserer
großen Freude noch nicht durch Autoreifen verdichtet war,
so daß sogar die Heringe leicht in den Boden glitten.
Nach dem Zeltaufbau spazierten wir durch das Touristengetümmel,
besichtigten die Badestelle, hatten aber selbst zum Baden keine
Lust und gerieten an eine Langosbude. Die Mädchen darin blickten
recht erstaunt auf, als wir unsere Wünsche ungarisch vortrugen.
Als wir später einige Landsleute von uns in dialektgefärbten
Deutsch auf die Verkäuferinnen einreden hörten, verstanden
wir die erfreute Reaktion.
Interessant in diesem Gelände war die Pfahlbauweise. Alle
wichtigen Gebäude standen auf etwa 2 m hohen Pfählen.
Es sah recht eigenartig aus, wie sich das Leben auf Plattformen
in der 1. Etage abspielte, während unten alles frei war.
Gemäß unseren neu aus dem Wörterbuch entnommenen
Vokabeln kauften wir eine Flasche herben Wein. Herb heißt
fanyar, ein Wort das Specky ausgiebig mit der Verkäuferin üben
mußte, bevor er es verständlich aussprechen konnte. Nach
der zweiten Flasche fanyar vörösbor war der Abend dann
allmählich zu Ende.
Freitag, 13. August, Csongrad - Kiskunhalas, 93.9 km
Wir fuhren weiter nach Kiskunhalas, weil dort der nächste Campingplatz
in einer akzeptablen Entfernung zu finden war. Die Strecke bot wenig
Aufregendes. Wir fanden an einem Bisztro, wor wir wie immer recht
üppige Mengen an Getränken in uns hineinschütteten,
zwei Nashornkäfer im Sand und sind uns bis heute nicht sicher,
ob diese auf natürlichem Wege dorthin gekommen sein können.
In Kiskunmajsa wollten wir im Bad Mittagspause machen. Bei der
Einfahrt in den Ort hörten wir jedoch das typische Geräusch
einer reißenden Speiche. Der Fahrradladen konnte uns nur dadurch
helfen, daß er die Adresse des nächsten Schlossers aufschrieb.
Dort allerdings war nur die Oma da, und die wollte uns nicht helfen.
Ein freundlicher Nachbar kam herbei und fragte nach unseren Wünschen.
Nun, er hatte das nötige Werkzeug in seiner Garage, und binnen
einer halben Stunde hatten wir vor dem Hoftor des Schlossers unsere
Reparatur beendet. Die Oma war so begeistert von unseren Fähigkeiten,
daß sie uns Waschschüssel, Wasser, Seife, Handtuch und
viele Ansichtskarten von Ungarn herausbrachte. Nachdem wir uns gesäubert
und die Karten genügend bewundert hatten, fuhren wir weiter
zum Bad. Dort lagen wir dann während der heißen Stunden
im Schatten oder im Thermalwasser, aßen Langos und machten
Urlaub. Als es dann wieder kühler wurde, fuhren wir weiter
nach Kiskunhalas.
Wir hatten vor, die nächste Strecke per Eisenbahn zurückzulegen.
Zwei Gründe gab es: Zum einen zeigte ein Überschlag, daß
uns bei unserem Tempo ein bis zwei Tage Urlaub fehlen würden,
wollten wir wie geplant bis Bratislava gelangen. Zum anderen wollten
wir auch einmal ausprobieren, wie das Bahnfahren mit Fahrrad in
Ungarn geht. Möglich mußte es sein, denn in einem Land,
wo so viele Fahrräder umherfahren, muß auch die Bahn
darauf eingestellt sein. Nun wir würden ja sehen.
Am Bahnhof konnten wir feststellen, daß der letzte Zug mit
Gepäckbeförderung in unsere Richtung vor 5 Minuten abgefahren
war. Wir hatten ihn sogar noch gesehen, da wußten aber noch
nicht sicher, ob er tatsächlich in unsere Richtung fährt.
Das stellte sich letzendlich als Glücksfall heraus, denn so
waren wir gezwungen, in Kiskunhalas zu übernachten und schliefen
auf einem der schönsten Campingplätze unserer Tour.
Die Wiese war in größere Parzellen aufgeteilt, eine
jede bot Platz für Wohnanhänger, Vorzelt, Auto und Liegewiese.
Wir kamen uns recht verloren vor und hätten auf unserer Parzelle
für weitere drei Gruppen von unserer Größe bequem
Platz gehabt. Aber da sowieso nur die Hälfte aller Parzellen
belegt war, spielte das keine Rolle. Zum Zeltplatz gehörte
das Bad, und kaum daß unsere Zelte standen, lagen wir schon
im warmen Thermalwasser und genossen unseren Urlaub. Das Thermalbecken
wurde gegen 22.00 Uhr geschlossen, das normale Schwimmbecken dagegen
konnte man rund um die Uhr benutzen. Nachdem wir genügen entspannt
und erholt waren, aßen wir in einem nahegelegenen Restaurant
ein phantastisches Abendessen. Von der scharf gewürzten Karpfensuppe
schwärme ich heute noch, und auch die Desserts waren etwas
für Feinschmecker. Kiskunhalas bleibt mein Geheimtip, wenn
ich mal irgendwo in Ungarn zwei bis fünf Tage bleiben möchte.
Sonnabend, 13. August 1993, Kiskunhalas - Villany, 81.3 km
Nach dem Zeltabbau fuhren wir, von den anderen Campern freundlich
verabschiedet, in die Stadt zurück und kamen als erstes an
den Markt. Es war Sonnabend, und hier herrschte lebhaftes Treiben.
Ein riesiger Fahrradparkplatz war dem eigentlichen Markt vorgelagert,
daran schloß sich der Busbahnhof an. Autos waren kaum zu sehen,
wenn man einmal von den Melonentransportern absieht, die vor dem
Marktgelände herumstanden und ihre Früchte zur Schau stellten.
Im Angesicht dieses bunten Treibens genossen wir unseren Langos
und die Frühstücksmelone, bevor wir zum Bahnhof radelten.
Dort erfuhren wir, daß der 9.00-Uhr-Zug, der kein Gepäcksymbol
im Fahrplan hatte, auch keine Räder mitnimmt. Wir könnten
zwar damit fahren, aber unsere Räder würden dann im nächsten
Zug hinterhergeschickt. Das gefiel uns nicht, und wir beschlossen
zu warten. So ergab sich ganz zwanglos die Möglichkeit, noch
einmal über den Markt zu schlendern.
Auf der Marktfläche spielte sich alles in langen Reihen ab.
An einen langen Gang, durch den die Käufer schlenderten, schloß
sich eine Reihe Verkaufstische an. Danach kam die Reihe der Verkäufer,
anschließend eine Reihe Fahrräder, mit denen die Waren
herbeigeschafft worden waren. Das ganze wiederholte sich in umgekehrter
Reihenfolge. So wurde die gesamte Fläche gefüllt, und
es herrschte in dem Gewimmel eine versteckte Ordnung.
Nun gut, die Abfahrtszeit des nächsten Zuges näherte
sich, und wir strebten wieder dem Bahnhof zu. Unsere Räder
gaben wir am Gepäckschalter auf, und ein Bahnbeamter verlud
sie dann in den Zug. Wir gerieten zunächst in Verwirrung, weil
uns jemand sagte, daß dieser Zug woandershin führe, aber
das muß ein Mißverständnis gewesen sein. Wir stiegen
jedenfalls in den Zug zu unseren Rädern und schaukelten bald
darauf in einem großen Bogen nach Baja. Wir erhielten die
Räder gleich auf dem Bahnsteig am Gepäckwagen zurück
und waren mit unserer ersten Bahnfahrt sehr zufrieden.
Nach einer kurzen Pause verließen wir Baja mit eigener Kraft
nach Süden. In Nagybaracska schlug das Schicksal wieder zu:
Speichenriß, wieder bei Specky, wieder hinten rechts. Während
er in einer Autowerkstatt in Rekordzeit die Reparatur vornahm, labten
wir uns an kühlen Getränken. Bald konnten wir weiterfahren
und erreichten nach etwa einer Stunde die Donau bei Mohacs. Eine
Fähre brachte uns über den Fluß, das erscheint mir
als angemessene Art, diesen Strom zu überqueren. In Mohacs
aßen wir Abendbrot und fuhren anschließend weiter nach
Süden. Schließlich bogen wir vor der jugoslawischen Grenze
nach Westen ab und gelangten in das deutschsprachige Gebiet im Süden
Ungarns. Deutliches Zeichen der Veränderung: Die Dörfer
wirkten wie ausgestorben. Während in ungarischen Dörfern
abends Leben auf der Straße herrscht, man sich zu einem Schwatz
zusammenfindet oder einfach nur vor seinem Haus sitzt, spielt sich
das Leben in den deutschen Dörfern hinter den Mauern oder zumindest
hinter den Zäunen ab.
Trotz des hereinbrechenden Abends hatten wir noch genug Muße,
die Landschaft zu genießen. Insbesondere der Berg, der unser
Ziel sein sollte, lag wunderschön im Abendrot. Wir erreichten
Villany, fuhren noch eine Steigung hinauf und standen dann vor unserem
Ziel - dem Szoborpark, dem Künstlerpark also. Eine steile,
schmale Straße brachte uns die letzten Meter hinauf, dann
sahen wir die große, mit Skulpuren übersäte Wiese.
Der Wächter kam auf uns zu. Ich begrüßte ihn, ich
wußte vom letzten Besuch, daß die Leute dort deutsch
sprechen. Er erzählte uns, daß gerade heute die Künstler
aus allen Herren Ländern zusammenkamen, um das 23-jährige
Bestehen des Parkes zu feiern. Wo wir denn schlafen würden,
wollte er wissen. Hm, das war ja unser Problem, denn bis Harkany
auf den Zeltplatz wären wir an diesem Tag nicht mehr gekommen.
Nun, dann sollen wir warten, bis die Künstler wieder weg sind
und unten auf der Wiese zelten. Das ließen wir uns nicht zweimal
sagen. Die Hauptsorge hatte sich verflüchtigt, wir konnten
jetzt die Kunstwerke in Ruhe genießen. Es bereitete Freude,
die Hand über die wohlgeformten, glatten Steine gleiten zu
lassen. Eine Band spielte am Steinbruch, wo die noch zu bearbeitenden
Blöcke liegen. Auf unserem künftigen Zeltplatz befand
sich ein kaltes Buffet. Wir schauten und freuten uns. Der Wächter
erzählte, daß er schon früher immer Leute dort hat
übernachten lassen (was ich ja aus eigener Erfahrung weiß).
Abends kam manchmal die Polizei und suchte DDR-Bürger, die
über Jugoslawien flüchten wollten. In die Ecke da unten
hat aber nie jemand geschaut. Episoden aus einer vergangenen Zeit
.
Schließlich zogen sich die Künstler zurück. Das
kalte Buffet wurde abgebaut, und wir eroberten unseren Zeltplatz.
Specky und Andreas bauten das Innenzelt auf, ich legte mich mit
Beate im Schlafsack auf eine von der Sonne warme Steinplatte, die
eben noch als Tisch diente. Wir konnten weithin über das Land
sehen, bis nach Kroatien hinein. Über uns purzelten die Sternschnuppen
herunter, wir sahen sogar einen Feuerball, der mit langem Schweif
über den Himmel flog. Gegen die Mücken bewährte sich
unser Nelkenöl. Irgendwann schliefen wir dann ein.
Sonntag, 15. August 1993, Villany - Haromfa, 54.9 km
Ein wunderschönes Morgenrot veranlaßte mich, den warmen
Schlafsack zu verlassen und ein Foto zu machen. Als es dann hell
war, standen wir alle auf und verbrachten die nächsten Stunden
damit, über das Gelände zu schlendern und uns alle Exponate
dieses einzigartigen Freilichtmuseums noch einmal genau anzusehen.
Einen besseren Eindruck von diesem Kleinod Ungarns werden vielleicht
die Fotos vermitteln. Zwischen den Steinen fanden wir hier und da
Gläser, die wohl vom kalten Buffet übriggeblieben sind.
Wir nahmen ein paar mit - als Andenken an diese einzigartige Nacht.
Endlich brachen wir auf, kamen aber nicht weit, denn wir gelangten
an ein Weingut, und den Plan, uns Wein nach Hause schicken zu lassen,
hatten wir noch nicht aufgegeben. Hier ging man auf unseren Wunsch
ein. Ein junger Bursche hatte offenbar an diesem Vormittag `Dienst'.
Ob nun wirklich eine Kiste dieser wunderbaren Weines unterwegs ist,
oder ob er sich das Geld einsteckt und sich einen schönen Tag
macht - wir wissen es nicht, aber wir hoffen auf ein schönes
Paket aus Ungarn.
Nun konnten wir endlich losfahren. Immer entlang der kroatischen
Grenze gelangten wir mit einer Unterbrechung zum Zwecke des Frühstücks
bis Harkany. Unsere Karte zeigte uns, daß sich hier wieder
eine gute Gelegenheit bietet, ein Stück Eisenbahn zu fahren.
Der Fahrplan verhieß uns auch zur passenden Zeit einen Zug
mit Gepäckbeförderung, und da wir das Bähnlein von
unserem Schlafplatz aus schon dahintuckern gesehen hatten, erwarteten
wir keine Probleme. Wir gingen also frohgemut ins Thermal- und Freibad,
was hier ein von Touristen überlaufenes Erlebniszentrum war.
Baden, Essen, Erholen - die Mittagsstunden vergingen viel zu schnell.
Kurz bevor wir gehen wollten, entschloß sich Specky, noch
die Wasserrutsche auszuprobieren. Ein tolles Ding hatte man dort
aufgebaut und verlangte 40 Ft für einmal Rutschen. Das Rutschen
ging prima, aber bei der Landung verlor Specky seine Brille. Nun
hatten wir ein Problem. Das Suchen gestaltete sich schwierig, weil
immer wieder Leute jauchzend in das Becken plumpsten. Specky ging
schließlich systematisch vor, lief eine Runde durch das Bad
und kam mit einem jungen Mann mit Taucherbrille wieder. Der stieg
mit Erlaubnis des Badewärters in das Becken, drehte zwei Runden
und brachte tatsächlich Speckys Brille mit. Sehr erleichtert
verließen wir pünktlich das Bad.
Nach etwas Suchen fanden wir auch den Bahnhof und erwarteten den
Zug. Wir wollten eine Nebenstrecke nutzen, deswegen war niemand
da, der sich um unsere Räder kümmern konnte. Als der aus
einem Triebwagen mit zwei Anhängern bestehende Zug einrollte,
wies uns der Schaffner nach einem kritischen Blick die Plattform
des zweiten Wagens zu. Dort machte man uns Platz, und mit Hilfe
des Schaffners waren die vier bepackten Räder schnell verstaut.
Wie alt die Gleise waren, merkten wir, als sich der Zug in Bewegung
setzte. So starke Schienenstöße habe ich noch nicht erlebt,
und durch die Fenster sahen wir, daß das Gleis zum Teil schon
zugewachsen war. Trotzdem war der Zug gut besetzt, es gab praktisch
keine Sitzplätze mehr. Der einprägsame Rhythmus der Schienenstöße
veranlaßte uns zum Vergnügen der anderen Fahrgäste
eine Musikband zu imitieren.
Irgendwann gesellte sich für ein paar Stationen ein in Holland
aufgewachsener Ungar zu uns, der uns mit holländischem Akzent
seine Lebensgeschichte erzählte und erklärte, daß
er mit seinem Saufkumpan zu einer Kirmes fahren würde.
Laut Fahrplan mußten wir in Sellye umsteigen. Damit verursachten
wir eine ordentliche Aufregung, denn erst nachdem wir die Räder
ausgeladen hatten, erfuhren wir, daß unser Zug weiterfährt
und der andere stehenbleibt. So bekamen wir die Gelegenheit, unsere
Räder noch einmal in das gleiche Abteil, aber viel besser als
vorher, einzustapeln.
Schließlich kamen wir in Barcs an, und wären wir auf
der anderen Seite ausgestiegen, wären wir bald in die Drava
gefallen und in Kroatien gewesen. Wir zogen es aber vor, in Ungarn
zu bleiben und brachen nach Norden auf.
Auf der Fernverkehrsstraße wollten wir unseren Zeltplatz
nicht ansteuern, so fuhren wir auf Nebenstraßen, mußten
aber ein Stück Feldweg in Kauf nehmen. In Babocsa wollten wir
etwas essen, gerieten aber in eine Gaststätte, die nur Getränke
anbot. Sie schickten uns weiter, aber die andere Kneipe war recht
heruntergekommen und hatte nur Hamburger und Hot-Dog. Unser Abendbrot
fiel also diesmal etwas armselig aus. Wir trösteten uns mit
dem Besuch einer Kirmes, die die Menschen aus mehreren umliegenden
Dörfern anzog.
Dann mußten wir uns beeilen, denn die Dämmerung in Ungarn
ist kürzer als wir es gewohnt sind. Hinter Haromfa (= Dreiholz)
begann der Feldweg, und hier erwies sich unsere Karte bald als unbrauchbar.
Wir kamen noch an einer Zigeunersiedlung vorbei, die wir auf keinen
Fall ein zweites Mal passieren wollten und gerieten auf einem Weg
in immer dichteren Wald, der wahrscheinlich nicht der von uns gesuchte
war. Als es dann immer finsterer und der Weg immer schlechter wurde,
gaben wir es auf. Vom Zeltplatz war weder etwas zu hören noch
zu sehen, zumal uns eine Dorfbewohnerin mitgeteilt hatte, daß
es diesen Platz nicht mehr geben würde. Wir suchten uns ein
geeignetes Plätzchen im Wald, bauten ein Zelt auf, teilten
Wachen ein und schliefen abwechselnd.
Montag, 16. August, Haromfa - Zalakaros, 87.4 km
Am Morgen sahen wir, daß auf unserem Weg wirklich kein Durchkommen
gewesen wäre. Wir brauchten jetzt den Zeltplatz auch nicht
mehr, gingen ein Stück zurück und fuhren nach Norden.
Dieser Weg verlor sich zwar nicht, aber Specky verlieh ihm trotzdem
das Prädikat `Von allen Komponentenherstellern empfohlen'.
Der Sand, den unsere Reifen aufwirbelten, prasselte als dichter
Regen auf Kette und Schaltung nieder. Wir waren sehr froh, als wir
das nächste Dorf und damit auch eine Asphaltstraße erreichten.
Als sich dort auch noch ein `Elelmiszer' fand, waren wir schon
fast wieder zurfrieden. Specky ging einkaufen, wir warteten draußen.
Er rief dann noch nach Geld und verschwand wieder im Laden. Als
er zurückkam, berichtete er uns, daß viele Frauen darin
auf irgendetwas warteten. Als er um Milch und Käse bat, hätte
ihn die Verkäuferin so angeschaut, wie wir vielleicht schauen
würden, wenn ein kleines grünes Männchen käme
und um eine Kreuzmuffe für seinen Photonenstrahler bitten würde.
Nun gut, vielleicht besteht in diesem Dorf kein Bedarf an Milch,
weil alle eine Kuh haben. Wir tranken also Limonade und aßen
Büchsenwurst. Als aber während unseres Frühstücks
das Milchauto vorfuhr, schauten wir uns alle etwas betreten an.
In Labod beschlossen wir, Geld vom Postsparbuch abzuheben. Die
Frau hinter dem Schalter machte so etwas wohl zum ersten Mal. Beim
dritten Versuch hatten wir dann gemeinsam alle Formulare richtig
ausgefüllt. Nachdem sicherheitshalber noch einmal die ungarischen
Vorschriften gelesen wurden, erhielt ich dann auch Geld und Dokumente
zurück.
Wir hatten den ebenen Teil Ungarns verlassen, die nun zu bewältigenden
Hügel gestalteten die Landschaft interessant, strengten aber
auch an.
Unterwegs kehrten wir wieder bei einem Bisztro ein, wo der Inhaber
sich verwunderte, daß wir das Mineralwasser gleich literweise
kaufen wollten. Andreas wollte ein `Snickers' haben. Aber als ich
den Riegel verlangte, verstand man mich nicht. Aha, ungarisch muß
man das ausprechen! Also `Schnitzkersch'. Ja, da war alles klar,
und ich bekam das Verlangte.
In Zalakaros gibt es zwei Zeltplätze, wir entschieden uns
für den ersten und wurden nicht enttäuscht. Insbesondere
die exzellenten Duschen nutzen wir ausgiebig aus. Als wir dann so
schön sauber und erholt waren, hatten wir nicht einmal mehr
Lust, ins Thermalbad zu gehen. Wir schlenderten über den Markt,
kauften eingelegten Knoblauch und kehrten schließlich ein
einer auf Salate spezialisierten Gaststätte ein.
Unsere Bedienung sprach perfekt deutsch, und das offenbar mit Freude.
Trotzdem wollten wir unser Ungarisch anwenden und bestellten also
mit der erprobten Vokabel `fanyar'eine Flasche herben Rotwein. Erstaunen
breitete sich auf ihrem Gesicht aus. Nach einer Weile meinte sie:
`Sie meinen sicher `trocken'?'. Und auf unser Nicken: `Fanyar bedeutet
eigentlich sauer, wenn sie trockenen Wein haben wollen, müssen
sie szarasz verlangen'. Da hatte uns unser Wörterbuch aber
schön hereingelegt. Nur gut, daß wir in Villany den Wein
probiert hatten und nicht einfach `fanyar vörösbor' verlangten!
Als wir schon fast wieder am Zeltplatz waren, fiel uns ein, daß
wir doch eigentlich noch eine Flasche hätten mitnehmen können.
Specky trabte also noch einmal zurück und bat um das Verlangte.
Aber erst, als er den magischen Satz auf ungarisch sagte, bekam
der das Gewünschte mit einem neckischen Lächeln ausgehändigt.
Nachdem wir uns noch die Geschichte unseres Zeltnachbarn und seiner
Katze angehört hatten, genossen wir unseren Wein und legten
uns schließlich schlafen.
Dienstag, 17. August 1993, Zalakaros - Heviz, ca. 37 km
Am Morgen dieses Tages beschloß ich, einkaufen zu gehen, um
ein gemeinsames Frühstück am Zelt zu ermöglichen.
Also suchte ich den am Vortag gesichteten Supermarkt auf, mußte
jedoch enttäuscht feststellen, daß dort die Bauarbeiter
Einzug gehalten hatten und es nichts zu kaufen gab. Ein paar Schritte
weiter fand ich am Busbahnhof einen Stadtplan, der auch die Einkaufsmöglichkeiten
enthielt. Der Weg zum nächsten Markt wurde eine kleine Wanderung,
offenbar hatte der Plan keinen einheitlichen Maßstab. Was
ich nach einer Weile fand, war ein winziges Lädchen. Ich hatte
mir inzwischen die ungarischen Sätze zurechtgelegt, die ich
vorbringen wollte. Allerdings standen rund um mich herum deutsche
Touristen, die ihre Waren auf deutsch verlangten, und die Verkäuferin
verstand sie offenbar sehr gut. Ich blieb aber eisern und brachte
den gesamten Einkauf in ordentlichem gebrochenem Ungarisch hinter
mich. Nachdem ich dann zum Zeltplatz zurückgewandert war, mußte
ich feststellen, daß direkt neben dem Tor ein weiterer Supermarkt
war, dessen Eingang aber so ungünstig lag, daß er nur
zu sehen war, wenn man auf den Zeltplatz zu lief. Am Zelt saßen
dann drei hungrige Gestalten auf ihren Matten und warteten sehnsüchtig
auf ihr Frühstück.
Nach dem Abbau fuhren wir ein Stück in die Richtung zurück,
aus der wir am Vortag gekommen waren. Dann bogen wir ab auf eine
kleine Nebenstraße durch das Gebiet des Kisbalatons. Bis heute
weiß ich nicht, ob Kisbalaton, was man mit `Kleinbalaton'
übersetzen könnte, nur den See bezeichnet, oder ob das
gesamte Gebiet gemeint ist. Den großen Balaton sahen wir leider
nicht, und bis an das Ufer wollten wir nicht fahren, weil wir dann
auf große Fernverkehrsstraßen geraten wären, die
erfahrungsgemäß stets voller Verkehr sind.
Während einer kleinen Pause halfen wir einem Slowenen, der
sich verfahren hatte, und schon bald darauf erreichten wir Heviz,
das Ziel dieser vergleichsweise kurzen Etappe. Wir fanden den Zeltplatz,
suchten auch die Rezeption auf, wurden aber gebeten, später
wiederzukommen und uns inzwischen einen Platz zu suchen. So bauten
wir auf und hatten es eilig, die Attraktion von Heviz, den größten
Thermalsee Europas, aufzusuchen. In einem ganzen See voll warmem
Thermalwassers kann man inmitten von blühenden Seerosen herumschwimmen
und die eigenartige Architektur der Badehäuser bestaunen. Wir
genossen das Vergnügen ausgiebig, überschritten die Gültigkeitsdauer
unserer Eintrittskarten und konnten so feststellen, daß die
Automaten offenbar eine ausreichend große Reserve einplanen.
Die Rezeption hatte geschlossen als wir den Zeltplatz wieder betraten,
um uns umzuziehen, und als wir in den Ort zogen, um Abendbrot zu
essen, war es nicht anders. Allmählich bekam ich ein seltsames
Gefühl, denn in Heviz konnte ich bereits vor zwei Jahren den
komfortablen Campingplatz benutzen, ohne daß es mir gelungen
wäre, etwas dafür zu bezahlen.
In der Stadt aßen wir in der ersten sich bietenden Gaststätte
ein verspätetes, relativ teures, kleines aber gutes Mittagessen.
Wir schlenderten weiter durch das Touristenstädtchen, stellten
fest, daß die Post bereits geschlossen hatte, ließen
uns für eine Weile in einer anderen Gaststätte nieder
und fanden uns schließlich in einem italienischen Eiskaffee.
Beate war müde, und so endete der Abend dann auch mit diesem
Eisbecher, nach dem wir zurück zum Zelt zogen.
Mittwoch, 18. August 1993, Heviz - Sarvar, 78.5 km
Heviz verließen wir auf einer überraschend stark befahrenen
Straße. Am nächsten Abzweig ließ der Verkehr zum
Glück nach. Der ebene Teil Ungarns lag wie gesagt hinter uns,
und wir überquerten viele kleine Hügel. Die Strecke lag
zwar laut Karte in einem Flußtal, aber praktisch hatten wir
nicht viel davon. Ein kräftiger Gegenwind gab diesem Abschnitt
eine zusätzliche Würze. Eine Melonen-Eis-Erdnuß-Pause
in Zalazentgrot wurde dankbar genossen. Über Zalaber erreichten
wir die Straße Nr. 8 bei Szemenye, einem Ort, der nicht auf
jeder Karte zu finden ist. Ein Feldweg von einem Kilometer Länge
sollte es uns ermöglichen, die sowieso für Fahrräder
gesperrte Fernverkehrsstraße gleich wieder zu verlassen. Auch
diesmal wurde die Erfahrung bestätigt, daß man sich auf
Feldwege nicht verlassen sollte. Wir erreichten zwar das Dorf, jedoch
mündete der Weg schließlich von hinten in einen Garten,
der zu einem Wohnhaus gehörte. Es war glücklicherweise
kein Mensch da, der daran Anstoß nehmen konnte, daß
wir von hinten kommend das Tor durchquerten, um auf die Dorfstraße
zu gelangen. Ein Hund, der zum Glück an der Kette lag, regte
sich jedoch sehr über uns auf, wir hörten sein Gebell
noch lange hinter uns.
Am kärglich ausgestatten Elelmiszer fanden wir zumindest etwas
zu trinken und aßen auf einer Bank in der Sonne unsere Vorräte
auf. Als der Aufbruch beschlossen wurde, meinte ich, daß ich
nichts dagegen hätte, noch ein Weilchen hier sitzen zu bleiben.
In diesem Moment bemerkte Specky seinen platten Reifen. Diese Art,
meinen Wunsch zu erfüllen, hatte ich vom Schicksal nicht erhofft.
Wir dachten zunächst, nur ein winziges Loch wäre die Ursache
und mit zwei bis dreimal Aufpumpen würden wir unser Tagesziel
erreichen. Doch als das Rad nach zwei Kilometern schon wieder schwammig
fuhr, flickten wir doch.
Eine sehr angenehme Straße nach Sarvar lag nun vor uns, und
sie gehörte uns praktisch allein. Die Fahrt wurde nur durch
ein erneutes Flicken von Speckys Schlauch unterbrochen. Als er anschließend
noch einmal kurz stehenblieb, um sein Gepäck zu richten, überholte
ihn ein Mopedfahrer. Es bereitete ihm großes Vergnügen,
diesen anschließend wiederum zu überholen, und erst,
als er uns wieder eingeholt hatte, mäßigte Specky sein
phantastisches Tempo.
Ohne weitere Zwischenfälle fanden wir in Sarvar den Campingplatz.
Diesen Platz kann ich jedem Fahrradtouristen wärmstens empfehlen.
Wir bauten unsere Zelte so auf, daß wir sie während des
Badens im Thermalbecken noch im Auge behalten konnten. Und was heißt
hier baden - es war ein Genuß für den Körper, in
dem herrlichen Wasser zu entspannen. Die Quelle hier enthält
weniger Schwefel, dafür aber mehr Salze, so daß ein angenehmerer
Geruch über den Becken liegt als anderswo. Auch die Gestaltung
der Becken war ungewöhnlich komfortabel, man konnte richtig
beieinander sitzen und sich gemütlich unterhalten. Ein Becken
mit besonders heißem Wasser befriedigte auch extreme Ansprüche.
Und am schönsten war, daß die Pforte zwischen Campingplatz
und Bad ständig offen blieb, so daß wir später noch
ein Thermal-Nacht-Bad genießen konnten. Der Genuß endete
dann allerdings durch einen Wächter, der uns darauf aufmerksam
machte, daß das Bad eigentlich 22.00 Uhr geschlossen wird.
Nachdem wir diese herrlichen Bademöglichkeiten ausgiebig genutzt
hatten, zogen wir in die Stadt, mußten am Schloß aber
betrübt feststellen, daß das Folklorefestival für
heute schon zu Ende war. Wir suchten eine geraume Weile nach einem
geeigneten Restaurant, wurden für unsere Ausdauer aber auch
mit einer sehr angenehmen Einkehrmöglichkeit belohnt. Im ersten
Stock saßen wir mit nur wenigen weiteren Gästen in einem
behaglichen Raum und konnten wieder einmal die schönen Seiten
ungarischer Gastronomie erleben.
Mit dem bereits geschilderten Bad im Mondschein klang der Tag aus.
Donnerstag, 19. August 1993, Sarvar - Kapuvar, 50.0 km
Die erste Handlung des Tages war natürlich ein Bad im noch
nahezu menschenleeren Thermalbecken. Daran schloß sich ein
Frühstück auf dem Campingplatz an, bevor wir gestärkt
und frisch auf die Räder stiegen. Es lag ein schweres Stück
vor uns: 7 km auf der Fernverkehrsstraße 84, die den gesamten
von Wien kommenden Verkehr tragen muß. Aber als wir dann auf
die kleineren Straßen abgebogen waren, die uns auch unsere
Fahrradkarte empfahl, erlebten wir wieder die schönen Seiten
Ungarns. Specky flickte unterwegs ein weiteres Mal seinen Schlauch.
Auch, wenn er diese Reparatur mittlerweile in Rekordzeit erledigen
konnte, begannen wir doch zu grübeln, ob wir bei der Flickerei
nicht einen methodischen Fehler begehen. So viele Löcher entstehen
schließlich nicht durch Zufall! Außerdem wiesen die
Schläuche eine ständig zunehmende Zahl von kleinen Schnitten
auf. Als in Kapuvar der Reifen schon wieder platt war, mußten
wir eine Grundsatzentscheidung treffen. Wir zogen zu einem Fahrradgeschäft,
wo aber die passenden Schläuche nicht vorrätig waren.
Aber wir inspizierten Reifen, Felge und Schlauch noch einmal auf
das gründlichste, und wahrscheinlich haben wir dabei die Ursache
der ständigen Reifenpannen der letzten Tage entdeckt, denn
danach verlief unser Urlaub ohne weitere Löcher in Schläuchen.
In der Felge war auf die Speichen eine Plastefolie gelegt worden
und darauf befand sich das übliche Gummiband. Diese Plastefolie
stand aber an mehreren Stellen unter dem Felgenband hervor, und
bei der Montage des Reifen bog sie sich manchmal nach innen. Offenbar
war die Plaste durch die Beanspruchungen und die Hitze ausgehärtet
und bildete nun eine Serie kleiner Messer, die bei der Fahrt durch
das ständige Walken den Schlauch so nach und nach zerschnitten.
Wir klebten über Plastefolie und Felgenband noch zwei Lagen
Isolierband, das zu meinem Standardersatzteilsortiment gehört.
Obwohl der Schlauch noch eine Reihe kleinerer Einschnitte aufwies,
die noch keine Löcher waren und unmöglich alle geflickt
werden konnten, hatten wir danach keine Probleme mehr. Für
den Notfall lag natürlich auch noch ein Ersatzschlauch bereit,
aber wenn wir diesen gleich bei der ersten Panne montiert hätten,
würden wir nun zwei Schläuche mit vielen kleinen Schnitten
besessen haben.
In Kapuvar zogen wir auf einen kleinen, luxuriösen Zeltplatz
mit intimer Atmosphäre. Man kannte sich offenbar. Natürlich
gab es auch diesmal ein Thermalbad, aber das war sage und schreibe
über 200 m vom Zeltplatz entfernt. Wir mußten noch einkaufen,
denn der 20. August ist in Ungarn Nationalfeiertag, und da haben
alle Geschäfte geschlossen. Aber danach saßen wir natürlich
wieder im diesmal sehr schwefelhaltigen Thermalwasser.
Auch den letzten Abend in Ungarn wollten wir in einem Restaurant
verbringen. Wir amüsierten uns köstlich über den
Kellner, der wie Harald Juhnke in seinen Sketchen wirkte. WIr fragten
uns jedesmal, ob er unsere Bestellung auch wirklich verstanden hatte,
aber es kam immer genau das, was wir verlangt hatten. Später
erfuhren wir, daß das bei diesem Kellner durchaus nicht selbstverständlich
ist. Vielleicht mochte er unser behelfsmäßiges Ungarisch.
An diesem Abend legten wir eine Liste der Wörter an, die wir
während des Urlaubs gelernt hatten. Diese Liste soll bei der
nächten Ungarntour helfen, schnell wieder dort anknüpfen
zu können, wo wir diesmal unsere Sprachforschungen beendeten.
Immerhin hatte Specky, der zu Beginn kein einziges Wort Ungarisch
kannte, nun einen aktiven Wortschatz von mehr als 60 Wörtern.
Auf dem Zelplatz tranken wir die beiden letzten Flaschen ungarischen
Weines in diesem Urlaub. Sehr fröhlich krochen wir schließlich
irgendwann in unsere Schlafsäcke.
Freitag, 20. August 1993, Kapuvar - Breitenbrunn, 71.4 km
Wir brachen gespannt auf, gespannt darauf, ob der Grenzübergang
nach Österreich eine bessere Wahl sein würde als es der
Übergang nach Ungarn vor zwei Wochen war. Aber als uns auf
der schmalen Straße relativ viele Radwanderer und Autos entgegenkamen,
wurden wir ruhiger. In Tözeggyarmajor fanden wir einen kleinen
geöffneten Laden mit Bisztro. Bei einem zweiten Frühstück
gaben wir unsere letzten Forint aus. Das Geld reichte sogar, um
unseren Proviant durch ein schönes Stück Käse zu
ergänzen.
Der Grenzübergang in Pamhagen bereitete überhaupt keine
Probleme, wir wurden einfach hindurchgewunken. Binnen weniger Meter
hatte sich die Welt um uns grundlegend gewandelt. Eine Unmenge kleiner
Wegweiser speziell für Radfahrer sollte uns auf den rechten
Weg führen, und Heerscharen von Radlern aller Couleur kurvten
herum. In Apetlon versorgten wir uns in der Post mit Geld und bogen
dann auf den Rundweg um den Neusiedler See ein. Am Anfang stoppten
wir noch einmal, um eine große Salzwiese zu besichtigen, auf
der sich inzwischen seltene Arten von Pflanzen und Tieren angesiedelt
haben.
Dan fuhren wir auf dem Radweg los. Die Gegend ist wunderschön,
lediglich die Schilder `geförderte Weingartenstillegung' auf
schmalen Streifen Brachlands zwischen den Rebenreihen gaben mir
zu denken. An ein ungehindertes Fahren war nicht zu denken. Daß
Kinder besondere Rücksicht erfordern, akzeptiere ich. Wo sonst,
wenn nicht hier, sollen sie den Reiz einer Radtour ungefährdet
kennenlernen? Dafür bremse ich auch mal mein schwer bepacktes
Reiserad mit einer Notbremsung ab. Doch mußte ich die Erfahrung
machen, daß auch Radfahrer, die man beim besten Willen nicht
mehr als Kinder bezeichnen kann, manchmal unmotiviert auscheren.
Vielleicht war der Weg auch etwas zu schmal konzipiert für
diesen Ansturm, oder besser, vielleicht kann man an viel zu wenigen
Stellen so schön wie hier radfahren, so daß sich die
Tourenfreunde alle hier versammeln.
In einem Gasthaus labten wir uns auf der Terasse an Most und Almdudler
und verzehrten (mit Erlaubnis) zunächst einmal unsere eigenen
Vorräte. Einen Speichenriß beseitigte Specky in Podersdorf
mit der inwischen gewonnenen Routine binnen einer halben Stunde.
In einer Gegend wie dieser war es auch nicht schwer, eine gut ausgestattete
Werkstatt zu finden. Wir anderen stellten inzwischen im Freibad
fest, daß der Neusiedler See an dieser Seite zwar wunderschön
aussieht, aber flach und nicht sehr sauber ist.
Weiter ging unsere Seeumrundung auf einem sandigen Weg. Ganz feiner,
aufgewirbelter Staub setzte sich überall ab, mit besonderer
Vorliebe natürlich auf Kette, Ritzel und Schaltung. Bloß
gut, daß wir die Technik lange nicht geölt hatten und
die Ketten außen trocken waren!
Wir erlebten nun auch hin und wieder die Reize der Radverkehrsplanung,
die uns in Ungarn erspart geblieben waren: Versetzte, dicht hintereinander
stehende Gitter vor einem Bahnübergang, die unsere Aufmerksamkeit
so beanspruchten, daß wir hinterher feststellten, daß
niemand von uns nach einem eventuell sich nähernden Zug Ausschau
gehalten hat. Natürlich war die Stelle als Radweg gekennzeichnet.
Als wir dann schon etwas müde in Breitenbrunn eintrafen, wo
wir zelten wollten, meinten zwei Einheimische, daß es hier
keinen Zeltplatz gäbe. So eine Auskunft motiviert natürlich
ungeheuer und voller Elan fuhren wir hinunter zum Seeufer. Dort
befand sich dann der angeblich nicht vorhandene Zeltplatz. Er war
ein wenig überfüllt, aber man hatte kurzerhand ein Stück
Wiese zusätzlich abgesperrt, so daß wir ohne Probleme
unterkamen.
Unseren rechtschaffenen Hunger wollten wir in einer Gaststätte
befriedigen. Obwohl wir bei dem hübschen Mädchen an der
Rezeption noch etwas Geld getauscht hatten (Sie war nur bereit,
in ihr Büro zu gehen, wenn wir inzwischen weiter ihre Blumen
gießen, was wir natürlich auch so gut wie möglich
taten.), drohten unsere Finanzen knapp zu werden. Als dann schließlich
die Rechnung kam, freuten wir uns gemeinsam mit dem Kellner, daß
das Geld reichte.
Wir schlenderten noch einmal am Yachthafen entlang, erfreuten uns
am Sonnenuntergang und saßen mit unseren Nachbarn ein Stündchen
zusammen, bevor wir in die Zelte krochen.
Sonnabend, 21. August 1993, Breitenbrunn - Bratislava, 51.2
km
Wir mußten bis Jois fahren, bevor wir ein geöffnetes
Geschäft fanden, um uns etwas zum Frühstück zu kaufen.
Die ungarischen Dörfer mit ihren vielen kleinen Läden
und Bisztros lagen eben hinter uns. Sicherheitshalber wollten wir
auf möglichst gerader Strecke nach Bratislava kommen, denn
die Pannen der letzten Tage bereiteten uns Sorgen. Das hieß
in diesem Fall, 11 km auf der Fernverkehrsstraße zu fahren.
Es waren schlimme Kilometer! Der Verkehr brandete an uns vorbei,
und wir fuhren so schnell wir konnten, um diesen Alptraum hinter
uns zu bringen. In Neudorf konnten wir dann endlich wieder auf eine
Fahrradroute abbiegen und atmeten auf. So strebten wir auf schwach
befahrenen Straßen der Grenze zu, und erst kurz vor dem Übergang
erreichten wir wieder eine große Straße, an der aber
auch der Donauradweg entlangführte. An der langen Schlange
vor der Kontrolle fuhren wir als Radfahrer vorsichtig vorbei, und
es störte sich auch niemand daran. Wir tauschten gleich im
Grenzgebäude Geld und setzen einen kleinen Teil sofort in 1.5
Liter kaltes Tonic um.
Der Radweg in die Stadt war mit sehr merkwürdigen Hindernissen
gespickt: Alle paar Hundert Meter kam eine Schranke, deren Mittelteil
abgesenkt war. Für Mountainbikes mag das ganz niedlich sein,
uns störte es gewaltig. Auf der imposanten Hängebrücke,
einem Wahrzeichen von Bratislava, überquerten wir die Donau.
Der Weg zum Bahnhof war schnell gefunden. Inzwischen ist der neue
Bahnhof, an dessen Fertigstellung keiner mehr so recht geglaubt
hatte, doch eröffnet worden, und wir betraten eine moderne,
saubere und freundliche Abfertigungshalle. Dafür mußten
wir etwas suchen, bis wir den richtigen, für den Auslandsverkehr
mit der Tschechei zuständigen Schalter gefunden hatten. An
der Fahrradaufgabe dauerte es auch noch geraume Zeit, bis wir alle
Formulare ausgefüllt und uns schweren Herzens von unseren geliebten
Rädern getrennt hatten. Unser Gepäck deponierten wir im
Schließfach, und konnten nun leicht bepackt in die Stadt ziehen.
Unsere erste Sorge galt einem Restaurant. Wir hatten inzwischen
alle einen rechtschaffenen Hunger, und ich mußte Specky motivieren,
seinen Appetit zu zügeln und wenigstens bis in die Altstadt
mitzukommen. Das hat sich aber gelohnt, denn wir fanden ein sehr
schönes, etwas verstecktes Restaurant in einem grünen
Hinterhof und speisten vorzüglich.
Wir schlenderten dann weiter durch die Altstadt und kletterten
schließlich zur weithin sichtbaren Burg hinauf. Dort lockte
uns eine Auststellung über die Samurai, und Specky offenbarte
ein erstaunliches Wissen über deren Schwerter und ihre Herstellung.
Er ersetzte den Führer vollkommen, und der Besuch wurde so
zum beeindruckenden Erlebnis.
Es machte Spaß, so durch die Stadt zu schlendern, den warmen
Abend zu genießen und den Urlaubsausklang einzuleiten. Nachdem
wir in einer kleinen Kneipe mit sehr interessanten, künstlerischen
Fotos an den Wänden noch etwas getrunken hatten, tauschten
wir noch etwas Geld am Automaten. Schließlich wollten wir
vor unserer Nachtfahrt noch Abendbrot essen. Auf dem Weg dorthin
hielten uns noch Straßenmusikanten auf, denen wir unbedingt
ein Weilchen zuhören mußten.
Wir fanden ein schönes Restaurant, die Speisekarte las sich
interessant und wir beschlossen, hier zu essen. Leider wurden im
Freien keine Speisen serviert, so gingen wir hinein. Dort erlebten
wir allerdings eine Überraschung: Ausstattung und Atmosphäre
entsprachen der einer Gaststätte der Luxusklasse, und wir kamen
uns in unserem `Müde-Radler-Aussehen' reichlich deplaziert
vor. Aber zurück wollten wir auch nicht mehr, und so erlebten
wir ein gediegenes Abschiedsessen in der Slowakei.
Gesättigt wanderten wir zum Bahnhof zurück, holten unser
Gepäck aus dem Schließfach und erwarteten den Zug in
der Hoffnung, einen Schlafwagenplatz zu bekommen. Das war allerdings
eine vergebliche Hoffnung, die Plätze waren alle vergeben,
und wir mußten froh sein, uns ein Abteil im ersten Wagen mit
nur einem weiteren Passagier teilen zu müssen.
Sonntag, 22. August 1993, Decin - Chemnitz, 23.9 km
In Prag stieg unser Reisebegleiter aus, und wir machten es uns sofort
im Abteil bequem. Immerhin lagen noch mehr als zwei Stunden Fahrt
vor uns. Plötzlich polterte es an der Tür und ein Bahnbeamter
wollte uns irgendetwas mitteilen, was wir aber ignorierten. Dann
hörten wir aber die Lautsprecherdurchsage des Prager Bahnhofs
auch auf Deutsch und Englisch, wonach der erste Wagen unseres Zuges
abgekoppelt würde. Hastig schnappten wir unsere Sachen und
verzogen uns in den zweiten Waggon, wo wir zum einen sahen, wie
der erste Wagen kurz darauf mit der Lok davonfuhr, zum anderen aber
feststellen mußten, daß der Zug mittlerweile voll war.
Ich hatte schließlich die Idee, in die erste Klasse umzuziehen,
was wir dann auch taten. Der Schaffner wollte kein Geld von uns,
als wir ihm unsere restlichen slowakischen Kronen anboten, und so
reisten wir in einem eigenen Abteil sehr bequem bis Decin.
Unsere erste Sorge in Decin galt natürlich den Rädern.
Sie waren da und sahen auf den ersten Blick auch unbeschädigt
aus. Allerdings schien in der Zwischenzeit jemand damit gefahren
zu sein. Jedenfalls waren die Schaltungen ganz anders positioniert
als in Bratislava. Specky stellte in Chemnitz fest, daß seine
Gabel stark verbogen war, was nur während dieser Zeit passiert
sein konnte, und meinem Rad fehlte ein Kabelschloß. Das liest
sich natürlich jetzt dramatisch, dürfte aber immer noch
nicht die Qualität der Erlebnisse mit aufgegebenen Rädern
bei Bundes- und Reichsbahn erreichen, insbesondere wenn man noch
den Preis mit in die Wertung einbezieht.
Nach einem kleinen Frühstück fuhren wir so, wie wir vor
zweieinhalb Wochen hin gefahren waren, per Fähre, Rad und Bahn
nach Chemnitz zurück. Abgesehen von einer angenehmen Begegnung
mit einem Pärchen, das zwei Wochen durch die Slowakei geradelt
war, ereignete sich nichts Bemerkenswertes. Ein nachahmenswerter
Urlaub ging zu Ende
Ralph Sontag
« zurück zur Übersicht
| nach oben
|