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»Radwandertour Unterelbe
Allgemeine Bemerkungen
Die Tour war konzipiert als Elbe-Radtour entlang der Radwanderwege
Cuxhaven-Hamburg und Hamburg-Schnackenburg. Aus der Tatsache heraus,
daß in unseren Breiten gewöhnlich Westwindrichtungen
vorherrschen, fuhren wir die Tour von Cuxhaven nach Schnackenburg,
um die zu erwartenden starken Winde in dieser Jahreszeit als vorwiegenden
Schiebewind nutzen zu können. Leider ging die Rechnung nicht
auf, denn es herrschte die Woche ein starker SSW-Wind vor, der uns
als starker Kantenwind genauso viel Mühen einbrachte wie Gegenwind.
Die Ausschilderung der Radwege zumindest des ersten Teiles von
Cuxhaven nach Hamburg war so mangelhaft, daß wir den Weg des
öfteren verfehlten, uns dann sowieso mehr an den Elbdeichen
orientierten, denn wir wollten ja eine Elbetour machen, und schließlich
gänzlich auf den Radweg verzichteten. Mag sein, daß die
Planer die beruhigten Deichzonen und Vogelschutzgebiete meiden und
ihre Wege ins Innere des Landes verlegen mußten, mag auch
sein, daß sie andere Sehenswürdigkeiten oder gastronomische
Einrichtungen anlaufen wollten, wir jedenfalls wollten Natur erleben
und dazu die Deichwege benutzen. Diese gingen auch außer im
Stadtgebiet Hamburg-Harburg überall durchgängig zu befahren.
Wir fanden aber leider sehr wenige Rastplätze oder einfach
nur Bänke vor, auf denen man hätte rasten können.
Als Unterstellmöglichkeiten vor gelegentlichen Regenschauern
gab es bestenfalls hier und da nur Buswartehäuschen. Unterkünfte
sind ebenfalls nicht so dicht gesät wie in bayrischen oder
hessischen Gefilden z.B. und außerdem teuer, so daß
wir uns an Jugendherbergen orientierten, die wir allerdings auch
Tag für Tag vorher bestellt hatten, denn es stellte sich heraus,
daß selbst diese in Niedersachsen wegen Projekttagen der Schulen
bereits ausgebucht waren.
So mußten wir auf schleswig-holsteinische Herbergen ausweichen
und dazu immer das Elbufer wechseln, denn die genannten Radwege
führten auf südelbischen also niedersächsischen Ufern
entlang. Schwierig wurde es dabei südlich um Hamburg herum,
denn die Radwege enden bzw. beginnen in Hamburg und die Stadt wollten
wir meiden. Also mußten wir einen großen Bogen bis in
die Nordheide schlagen, um den lebhaften Verkehrswegen um und zur
Stadt auszuweichen. Wir fanden aber ruhige Wege durch die Harburger
Schwarzen Berge und das Seevetal, um hinter Hamburg wieder das schöne
und ruhige Elbufergebiet zu erreichen. Hier führte auch der
Radweg wieder enger am Fluß entlang, aber trotzdem orientierten
wir uns weiterhin an den Deichwegen und später an der Elbuferstraße,
als die Landschaft hügeliger wurde und die Deiche nicht mehr
befahrbar bzw. auch nicht mehr vorhanden waren. Doch nun zur Beschreibung
der Etappen im einzelnen.
Erster Tag: Rund um Cuxhaven, 56 km
Die Jugendherberge in Duhnen, dem Seebad Cuxhavens, liegt unweit
des Strandes an der Wattenküste der Nordsee, gegenüber
der Insel Neuwerk, die mit Wattenwanderungen und Kutschfahrten während
der Ebbe erreicht werden kann. Aber die Ebbe war zu der Zeit früh
und abends um 9 Uhr gewesen und es fanden keine Wattenwanderungen
statt. Wir nutzen die Zeit für eine Rundfahrt um Cuxhaven,
am Deich nach Süden, in die Marschenlandschaft im Landesinneren
und über Lüdingworth mit seinem mächtigen "Bauerndom"
nach Altenbruch an den Elbedeich. Dieser ist hier und wie wir weiter
flußaufwärts feststellen erst in den letzten Jahren auf
8m Höhe aufgestockt worden, da Hochwasser von Sturmfluten bereits
6,5 m erreicht hatten. Die Fahrtrinne der Seeschiffahrt nach Hamburg
führt dicht am Südufer der hier etwa 30 km breiten Elbemündung
vorbei und wir lassen einige Schiffe passieren, sehen dabei die
riesigen Windparks am Nordufer der Elbemündung, die im Kaiser-Wilhelm-Koog
bereits Brutgebiete der Vogelwelt verdrängt haben. Noch nachdenklicher
stimmen uns aber die größten der Schiffe, die mit fernöstlichen
Namen versehen tausende Container mit Erzeugnissen täglich
aus dieser Region nach Europa bringen. Was werden sie auf dem Rückweg
wohl geladen haben, ob die Container vielleicht leer sind, um einen
neuen Schwung Billigartikel zu holen, die die europäische Produktion
ersticken und noch mehr Arbeitslose produzieren helfen? Nun, die
demokratisch gewählten Regierungen werden tatenlos und unfähig
zusehen müssen, wie das Großkapital die Produktion immer
mehr in Billigländer verschachert!
Der Weg auf dem Deich führt durch Schafkoppeln zurück
in das Hafengelände Cuxhavens wo stillgelegte Gleisanlagen
und umgenutzte Fischverarbeitungsfabriken vom einstigen Hauptzweck
dieser Anlage zeugen. Heute riecht es hier unter anderem nach Gummibärchen.
Am alten Fischereihafen vorbei, wo gerade ein Volksfest läuft,
gelangen wir an die "Alte Liebe", an der Seebäderbrücke
und dem Fährhafen vorbei an den anschließenden Badestrand,
der etwa zwei Stunden lang am Tag bei Flut als solcher genutzt werden
kann. Der Döse-Deich, wie er nach dem Ortsteil dahinter genannt
wird, ist gepflegt und voller Spaziergänger, und hinter der
sogenannten Kugelbake am nachfolgenden Badestrand kostet es Eintritt
für Zufallsgäste, der Kurkarteninhaber hat freien Zutritt.
Sonst muß er hinter dem Deich bleiben und ihm ist die Aussicht
nur an der Deichgaststätte erlaubt. So ergeht es auch Radfahrern,
deren Weg hinter dem Deich entlang führt. Erst am Abend, wenn
die vielen Aufsichtspersonen an den Strandzugängen nach Hause
gehen, wird die Seele wieder frei vom Kommerz und kann den Krabben
im Watt zuschauen, wie sie bei Ebbe um das Überleben kämpfen.
Diese Küste ist also nicht mein Ding.
Zweiter Tag: Glückstadt 73 km
Nach dem Frühstück geht es noch einmal am Deich entlang
zur Kugelbake und durch Hafenanlagen zu den Schleusen und Sperrwerken,
die Zuflüsse vor den Gezeiten und eventuellen Sturmfluten schützen.
Nur in Altenbruch hat ein Deichbauer seine Schafkoppel so gänzlich
abgeriegelt, daß man nicht einmal zu Fuß hindurch gekommen
wäre. Das war aber eine Ausnahme auf dem weiteren Weg. Allmählich
verschwinden hinter uns die Hafenanlagen von Cuxhaven und wir sind
mit den Schafen am Deich und den Schiffen auf dem Fluß allein.
Von Kilometer 730, von der Elbequelle aus gemessen, bis Schnackenburg
haben wir nur ca. 255 Flußkilometer zurückzulegen, aber
wir werden etwa auf das Doppelte kommen. In Otterndorf passieren
wir die Schleuse des Flüßchens Medem. Ein Denkmal für
die Deicherbauer erinnert an die letzten Handschläge für
die jüngste Erhöhung der Deiche vor wenigen Jahren. Vor
dem Ostesperrwerk versperrt uns das Natureum, ein Naturreservat
an der Flußmündung zunächst den Weg, aber auf einem
urwaldartigen Umgehungspfad erreichen wir die Schleuse doch noch,
wo wir bei Flut erleben, daß der Fluß landeinwärts
"strömt". Eigentlich hatten wir vor, den "Deutschen
Olymp" (Höhe 56m NN!) im Wingst (übrigens mit einer
Jugendherberge) zu "erklimmen" und uns danach der historischen
Schwebefähre über den Ostefluß zuzuwenden, aber
wegen der fortgeschrittenen Zeit wählten wir doch den Weg am
Elbdeich entlang durch das Kehdinger Marschenland. Immer wenn wir
einmal auf den Deich hinauffahren, sehen wir am anderen Ufer die
Anlage des modernen Kernkraftwerkes Brunsbüttel, aber auch
etwas landeinwärts die hohe Autobahnbrücke über den
Nord-Ostsee-Kanal, die mit fast 40m Durchfahrtshöhe den Ozeanriesen
die Passage ermöglicht. Von Wischhafen, dem Fährort über
die hier vielleicht noch 3 km breite Elbe müssen wir die Autofähre
nach Glückstadt nehmen. Die vier Fährschiffe, die unterwegs
sind, sind gut besetzt, vor allem mit LKW´s, denn es ist die
erste Möglichkeit die Elbe zu überqueren. Die Jugendherberge
im Ort ist ein stilvolles, norddeutsches Hallen-Bauernhaus und ganz
für uns allein da. Wir können die Sachen trocknen, die
beim jüngsten Regenguß naß geworden sind und fühlen
uns pudelwohl.
Dritter Tag: Buxtehude, 68 km
Wir erfuhren von der Herbergswirtin, daß das Bauernhaus auf
einer "Warft" steht, das ist ein Erdhügel hinter
dem Deich, der dem Bauernhaus einen gewissen Schutz vor Überflutungen
bietet. Es ist der holsteinische Ausdruck, südlich der Elbe
sind dies die "Wurthen", auf denen die niedersächsischen
Gehöfte der Deichbauern besonders im Kehdinger Land liegen.
Aus früheren Bekanntschaften mit der Elbelandschaft erinnern
wir uns an ähnliche Gehöfte in der Altmark und am Rande
der Dübener Heide, da hier auch nicht immer Deiche den Schutz
des Hinterlandes ermöglichen. Das Städtchen Glückstadt
hat alte Traditionen als zeitweilige Residenz dänischer Könige,
besonders Christians IV. Nach der Rückfahrt mit der Fähre
auf die niedersächsische Seite passieren wir, wieder mal den
ausgeschilderten Radweg ignorierend, die Schleuse nach dem Krautsand,
einer Schwemmsandinsel in der Elbe, die ein besonders ruhiges, idyllisches
Stückchen Erde ist. Doch bald, am Ende des Krautsandes werden
wir wieder in die Realität zurückgeholt: das Kernkraftwerk
Stade, ein Elektrizitätswerk und eine Ölraffinerie stehen
vor uns in ihrer vollen irdischen Häßlichkeit. Landeinwärts
gewandt kreuzen wir nur noch die Hochspannungsleitungen des Umspannwerkes,
spüren nicht, daß wir den tiefst gelegenen deutschen
Ort mit -2m NN, Bützfleth, passieren und lassen uns von der
überraschenden Schönheit des mittelalterlichen Städtchens
Stade gefangennehmen. Hier sollen ja unter anderem im 3.-4. Jhd.
die "Ursachsen" beheimatet gewesen sein. Aber außer
ein, zwei Pensionen die Widukinds Namen tragen, des sächsischen
Herzogs, der sich viel später der Christianisierungswut Karls
des Großen unterwarf, deutet nichts mehr auf diese hin. Ich
glaube sogar, selbst die Niedersachsen wissen nicht mehr, warum
sie so heißen! Die gut erhaltene Fachwerksubstanz aus dem
16.Jhd., der hölzerne Verladekran am Schwedenspeicher, die
alte Stadtkirche und ein Brunnen vom "Fischer und sin Fru"
am preußischen Postamt sind schöne Eindrücke aus
alter und neuer Zeit. Wir verlassen Stade wieder in Richtung Elbeufer
und tauchen ins größte deutsche Obstanbaugebiet, das
"Alte Land (der Sachsen!)" ein. Riesige unüberschaubare
Obstplantagen bedecken das flache Land, vorwiegend Apfelbäume
stehen unter der Last ihrer Früchte. Ob man sie wohl alle wird
ernten können? In Hollern-Twielenfleth liegt ein Exote an der
Landungsbrücke, der Mississippi-Raddampfer "Louisiana-Star",
mit dem Kreuzfahrten auf der Elbe unternommen werden. Sein großes
rotes Schaufelrad am Heck und die vier Schornsteine unterscheiden
ihn so sehr von den auf deutschen Flüssen gewohnten Raddampfern,
aber es ist schon eine Augenweide, ein solches Schiff im strahlenden
Sonnenschein betrachten zu können. Über den Obstmarschenweg
erreichen wir das Urlauberstädtchen Jork mit seinen herrschaftlichen
niedersächsischen Bauernhäusern, mit reich verzierten
Fachwerkgiebeln, weißen Holztoren davor oder Säulenportalen
an den Haustüren. Das ganze Alte Land scheint etwas reicher
zu sein durch sein Obst als andere Elbuferabschnitte, die wir kennenlernten.
Leider ist die Hauptstraße von einem solch dichten Verkehr
belegt, daß man sogar auf dem Fahrrad so schnell als möglich
wegzukommen versucht. Vor dem Este-Stauwerk wenden wir uns nach
Süden Richtung Buxtehude, wo wir ein preiswertes Privatquartier
gebucht haben. Durch Estebrügge, einem sehr schönen nicht
nur wegen des Namens flämisch anmutenden Fachwerkstädtchen,
fahren wir am Este-Fluß entlang in Buxtehude ein, den Petridom
schon lange vor Augen und ein auf dem Berge stehendes modernes,
die Silhouette nicht gerade aufwertendes Hochhaus. Wir müssen
die modernen kreuzungsfreien Verkehrsanlagen der B73 überwinden
und finden dank eines in Stade erworbenen Stadtplänchens gegen
Abend endlich unser Quartier zu Füßen des genannten Hochhauses
auf dem Berge. Der Abend reicht nur noch zum Essen gehen in ein
nahegelegenes, von der Wirtin empfohlenes Restaurant.
Vierter Tag: Buchholz/Holm, 56 km
Wir frühstücken gut und familiär im Kaminzimmer der
Villa eines Kunstprofessors unter Reliefs von "Tristan und
Isolde" und "Io auf dem Stier" - Wagner´sche
und altgriechische Romantik an den Wänden und im Treppenhaus
- einmal etwas anderes als moderne Zweckeinrichtungen moderner Jugendherbergen!
Von der Witwe des Kunstprofessors herzlich verabschiedet, wollen
wir noch der Stadt einen Besuch abstatten, aber wie so oft verstellt
rühriges Markttreiben die prägnantesten Ansichten einer
Stadt am Morgen, so daß wir zunächst einmal wieder der
Ruhe der Elbauen zustreben, diese aber an einem Hamburger Ortsschild
schon nicht mehr erreichen und uns am Brackwasser der "Alten
Süderelbe" wieder gen Süden wenden, um das Stadtgebiet
Hamburg-Harburgs zu umfahren. Wir streifen aber zwangsläufig
noch den S-Bahn- und Straßenknotenpunkt der Stadt und .
es beginnt wieder einmal heftig zu regnen. Aufwärts in die
Harburger Schwarzen Berge und den Rosengarten müssen wir in
und durch dichten nassen Wald fahren, bevor wir ganz unverhofft
im dichtesten Abschnitt eine Schutzhütte für das Mittags-Picknick
finden. Die trockene, sicher gemütlich beheizte Waldgaststätte
am Waldrand war uns zu teuer, für betuchte Rentner aber wohl
gerade richtig! Uns schmeckte es auch in der Waldhütte. Abwärts
vom 150m hohen Ganna-Berg mit Fernsehsender rollen wir nun wieder
regenfrei über das Buchholzer Autobahndreieck in die Nordheide
nach Holm, wo wir ein bestelltes Pensionszimmer als einzige Gäste
des Hauses beziehen. (Vier Kilometer weiter liegt die Jugendherberge
Inzmühlen, die aber auch leider ausgebucht war)
Fünfter Tag: Geesthacht 68 km
Nach gutem Frühstück begeben wir uns wieder auf Fahrt
in das Tal des Flüßchens Seeve, das uns an seinen Ufern
wieder zur Elbe führt. Doch zuerst geht es durch das anmutige
Fachwerkstädtchen Jesteburg, dann überqueren wir zwei
Autobahnkreuze und den größten deutschen Rangiergüterbahnhof
in Maschen. Er besteht, wie wir von der Straßenbrücke
über die riesige Anlage aus feststellen können, aus einem
alten nicht mehr benutzten Teil mit schätzungsweise 25 bis
30 Gleisen und einer neuen ebenso mächtigen Anlage, die einen
erhöhten Abrollberg für die zu trennenden Güterzüge
besitzt. Wie von Geisterhand gesteuert, rollen verschieden lange
Wagengruppen vom langsam geschobenen Zug ab und rollen auf das für
sie bestimmte Gleis, die nächste Gruppe auf ein anderes Gleis,
wo sie abgebremst und an einen neuen Zug angekoppelt wird. Faszinierend
dabei, daß sich kein Mensch sehen läßt, nur der
Dispatcherturm scheint besetzt zu sein, um die Anlage zu steuern.
In wenigen Minuten setzt die Rangierlok zurück und das Gleis
ist für den nächsten Zug frei. Allerdings entsteht der
Eindruck, daß die Anlage etwas überdimensioniert ist,
denn es sind nicht allzuviele Güterzüge zu bedienen. Die
Großstadt Hamburg hat uns wieder ihre Lebensadern gezeigt
und wir wenden uns ruhigeren Gefilden zu, die wir an der eingedeichten
unteren Seeve finden. Hier sehen wir an einem Brackwasser, das als
Vogelschutzgebiet mit Aussichtskanzel eingerichtet ist, eine ganze
Kolonie Kormorane, die wir sonst nur mal einzeln auf einer Buhne
sitzend beobachten konnten. An der Seevemündung haben wir auch
den Elbdeich wieder und folgen ihm nach Winsen /Luhe, wo wir nach
einem Kaffee in der Stadt noch in ein Rad einen neuen Bremsbowdenzug
einbauen müssen. Weiter am Deich überrascht uns heftiger
"irischer" Regen und das schutzbringende Buswartehäuschen
kommt zu spät vorbei, wir sind bereits nass. Wir erreichen
die Jugendherberge und lassen Heizung kommen, um unsere Sachen zu
trocknen. Da der Regen nicht aufhört und die nächste Gaststätte
zu weit entfernt ist, lassen wir uns telefonisch vom Pizzaservice
bedienen, der uns auch noch die zweite Flasche Wein gratis mitliefert.
So ist auch dieser verregnete Abend gerettet!
Sechster Tag: Lauenburg, 55 km
Da die heutige Etappe nur etwa 15 km lang wäre, wenn wir Lauenburg
auf der B5 direkt ansteuern würden, machen wir einen Abstecher
in Richtung Lüneburger Heide. Die Route führt nach Süden,
dem heftigen Gegenwind, nach wie vor kräftig von SSW, entgegen.
Wir passieren zunächst die einzige Elbeschleuse auf deutschem
Gebiet, eine Anlage zum Abschotten gegen die hier noch wirksamen
Gezeiten und gelegentliche Hochwasser bei Sturmfluten von der Nordsee
herauf. Außerdem zweigen elbaufwärts zwei größere
Kanäle ab, der Elbe-Seitenkanal nach Süden und der Elbe-Lübeck-Kanal
nach Norden, die ein gewisses konstantes Niveau benötigen.
Am nördlichen Elbufer bilden sich mittlerweile hüglige
Landschaften heraus, die sich von den südlichen Marschenlandschaften,
die wir durchfahren, deutlich abheben. Gegenüber des dritten
Kernkraftwerkes auf unserer Tour, des KKW Krümmel wenden wir
uns nach Süden in Richtung Bardowick und Lüneburg. In
St. Dionys werden wir bereits mit einer Gründung Karls des
Großen konfrontiert, der hier auf Sachsenmission unterwegs
war. In Bardowick steht zwar einer der vier berühmten "Löwendome",
die mit Heinrich dem Löwen in Verbindung stehen, aber uns interessierte
mehr eine im starken SSW-Wind laufende Windmühle, in der noch
mit Windkraft gemahlen wird und wir die gut gepflegten hölzernen
Getriebe bis hinauf besichtigen und erleben konnten. Im Moment wurde
aber nur der Generator angetrieben, der bei durchschnittlich 5 m/s
Windgeschwindigkeit ganz schön auf Touren kam. Lüneburg
wäre auch einen Abstecher wert gewesen, aber die Zeit war zu
knapp, um sich ausgiebig in der gut erhaltenen Fachwerkstadt länger
umzusehen. Also ließen wir uns vom Schiebewind zum größten
deutschen Schiffshebewerk nach Scharnebeck am Elbe-Seitenkanal blasen.
Mit 38 m Hubhöhe befördert es in zwei Trögen unabhängig
voneinander die größten genormten Euroschiffe auf und
ab. In einem Unterstellhäuschen warten wir noch einen mächtigen
Regenguß ab, bevor wir uns auf Schiebekurs am Kanal entlang
wieder dem Wind anvertrauen und bei Artlenburg die Elbe erreichen.
Wieder dreht sich hier eine Windmühle, was uns überrascht,
denn vor Jahren war sie noch in schlechtem Zustand. Und tatsächlich
machte sie einen Probelauf für die am folgenden Tag bevorstehende
Weihe anläßlich des Tages der deutschen Einheit. Ein
niedersächsischer Windmühlenverein hatte sie wieder zum
Leben erweckt. Eine erfreuliche Sache, außer den tausenden
modernen Windkraftwerken auch hier und da wieder eine alte richtige
Windmühle laufen zu sehen! Das Städtchen Lauenburg empfängt
uns in seiner historischen Altstadt recht ruhig - wir kannten es
vor ein paar Jahren belebter - und auf schlechten Altstadtstraßen
finden wir am entgegengesetzten Ende auf dem Berg, wo auch sonst
anders, die Jugendherberge. Ich glaube, Jugenherbergen sind immer
auf dem Berg, wie es schon der Name in sich birgt! Es ist wie verhext,
man ist sauer vom Radfahren und muß zuletzt immer noch einen
Berg erklettern, um in sein Ruhebett zu gelangen! Der Abend ist
wie immer nach kurzem Abruhen einem kleinen Rundgang mit Abendessen
vorbehalten.
Siebenter Tag: Hitzacker, 65 km
Am Morgen statten wir nach dem guten Herbergsfrühstück
dem ehemaligen Schloß Lauenburg, das auf dem Hügel der
slawischen Ertheneburg erbaut wurde, einen Kurzbesuch ab. Überhaupt
war die Elbe hier wohl etwa bis Hamburg die Grenze der slawischen,
hier genauer der obotritischen Stämme zu den südlich der
Elbe lebenden Sachsen. Im Jahre 929 hat König Heinrich I. bei
Lenzen die Elbeslawen geschlagen und das slawische Brandenburg unter
seine Herrschaft gebracht. Lange Zeit bis in die Gegenwart nannte
sich diese Gegend noch "Sächsisches Herzogtum Lauenburg",
was sich auch in Fahne und Wappen widerspiegelt Bei Lauenburg
zweigt der Elbe-Lübeck-Kanal ab, der schon 1900 eine Schleuse
in so großen Dimensionen erhielt, daß sie bis heute
den Ansprüchen der Kanalschiffahrt genügte. Sie ist die
älteste Schleuse Europas, soll aber zu ihrem Hundertjährigen
von einer modernen Schleusenanlage ersetzt werden. So verkündet
es eine Tafel in der Nähe der Schleusenkammer, in die gerade
eine Doppelschubeinheit einfährt. Aber da noch keinerlei Bautätigkeit
zu verzeichnen ist, scheint dieses Projekt wohl nicht mehr so im
Vordergrund zu stehen. Wir rollen über die Elbebrücke
auf das Südufer und im gleichen Moment legt am Kai der Museumsraddampfer,
die "Kaiser Wilhelm" ab, die an Wochenenden regelmäßig
seit nunmehr fast dreißig Jahren hier auf der Elbe bis Bleckede
und zurück verkehrt. Später erfahren wir aus dem Fernsehen,
daß das in Dresden gebaute Schiff 70 Jahre auf der Weser verkehrte
und in diesen Tagen gerade seine 100-ste Saison vollendet hat. Ein
ehrenamtlicher Verein pflegt und betreibt den Veteran mit viel Energie
und Muskelkraft, denn das Schiff wird nach wie vor original mit
Kohle befeuert. Bis zu 350 Personen kann es an den Wochenenden auf
die Tour mitnehmen, heute sind es zum Ausklang der Saison nicht
mehr so viele, aber wir begleiten es durch den Elbufer-Naturpark
bis Bleckede. Das Saisonende verkünden auch die in kleinen
Gruppen auftretenden pfeilförmigen Formationen der Wildgänse,
die zum gemeinsamen Flug nach Süden sammeln. Ab und zu fliegt
auch ein Graureiher auf, der in den ruhigen Uferzonen zu Hause ist.
Allmählich wird jetzt auch das südliche Ufer hügliger,
so daß die Deich verschwinden und die Elbuferstraße
etwas landeinwärts führt. Kurz vor Hitzacker, unserem
heutigen Jugendherbergsziel steigt es sogar mit 13% auf den 86 m
hohen Kniepenberg, von dessen Aussichtsturm sich ein weiter Blick
die Elbe entlang und ins gegenüberliegende Marschenland bietet.
Kurz vor Hitzacker erreichen wir ebenfalls nach einer 13%igen Steigung
die Jugendherberge, natürlich wieder auf der Höhe!
Achter Tag: Schnackenburg, 75 km
Heute wollen wir das Ziel unserer Tour erreichen. Die Elbe macht
einige Schleifen, so daß wir es im Wechsel mit Schiebe- oder
Gegenwind zu tun haben. Die Deichwege führen durch hohen Auenwald,
über ruhige Weiden immer wieder auch hier durch Schafherden
hindurch, die zwischen den Wiesenchampignons friedlich grasen und
erstaunt aufblicken, wenn wir daherkommen. Es ist eine ruhige, friedliche
Gegend, man passiert Grenzgebiet zur ehemaligen "Zone",
bei Dömitz dominiert die kühn geschwungene Tragekonstruktion
der neuen Elbebrücke, dahinter die auf "DDR-Seite"
abgebrochene Eisenbahnbrücke, die mit vielen Bogen am Südufer
noch bis an das Ufer reicht. Es ist sogar eine bedrückende
Ruhe, heute, am Tag der deutschen Einheit. Man spürt nicht
mal mehr das letzte Aufbäumen gegen das Atommüllendlager
Gorsleben, das wir in sonntäglicher Stimmung passieren. Zweimal
lassen wir uns wieder von der eigenwilligen Radwegführung von
den Deichen ablenken, verpassen einige in Elbnähe liegende
alte Burgwälle (slawische, im südelbischen Wendland?)
und haben Mühe, uns wieder zur Elbe durchzuschlagen. An der
Funkstelle Höhbeck mit ihren riesigen Funkmasten, überbrückt
wieder eine Autofähre die Elbe, drüben steht ein Wachturm
der Zonengrenze und dahinter der bereits genannte Schlachtenort
Lenzen. Auf ebenso ruhigem Deichgelände wie zuvor erreichen
wir Schnackenburg am Kilometer 475 des Elbelaufes, einen hübschen
Ort mit preiswerter Pension, wo wir uns einquartieren. Die kräftige
Abendsonne beleuchtet den Seglerhafen in der Aland-Mündung,
und die immer größer werdenden Gruppen von Wildgänsen
scheinen hier im dahinter gelegenen Waldgebiet ihren Treffpunkt
zu haben. In bereits großen Formationen vollführen sie
in großen Kreisen am Abendhimmel laut schnatternd ihre Übungsflüge,
bevor sie vielleicht morgen oder übermorgen die große
Reise antreten. Am Ufer vor dem Deich schart sich mittlerweile die
Dorfbevölkerung um das hell auflodernde Freudenfeuer, das aus
Tradition an jedem 3.Oktober hier entfacht wird, als Erinnerung
an die Begegnungen in den Tagen der Grenzöffnung, wo viele
Feuer auf beiden Ufern brannten. Heute fährt sogar die Fähre
länger bis in die Nacht hinein, um die Gäste vom anderen
Ufer wieder nach Hause zu befördern, wenn das Feuer erloschen
ist. Ein schöner, besinnlicher Abschluß einer erlebnisreichen
Radtour durch deutsche Lande!
Gerald Hummel, Chemnitz, 1999
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